Gemeinschaftsgrabfläche
Im Fußballhimmel
Text: Paret, Lisa, Darmstadt
In Gelsenkirchen, der Heimat des FC Schalke 04, erreicht die Fanverbundenheit eine neue Dimension: Mit dem Schalke Fan-Feld von Faru Architekten ist eine Gemeinschaftsgrabfläche im blau-weißen Zeichen des Traditionsclubs entstanden. Der Vereinsfriedhof steht beispielhaft für einen Wandel der Sepulkralkultur und für grenzenlose Fanliebe im Fußball.
Der Kessel bebt, die Stimmung kocht. Riesige Fahnen flattern über den Köpfen, schnelle Trommel- und Klatschrhythmen heizen die Menge an. Von der Nordkurve schwappt lautstarker Fangesang durch das Stadion: „Blau und Weiß ein Leben lang!“ Jeden zweiten Samstagnachmittag um halb vier steht die Veltins-Arena in Gelsenkirchen Kopf. Die Schalke-Fan-Familie fiebert mit „ihren“ Jungs unten auf dem Spielfeld mit, fällt sich bei Siegen wie bei Niederlagen tief in die Arme. „Die ganze Kurve Hand in Hand und stets vereint, weil es unser Leben ist“, schmettern die Königsblauen Anhänger – und meinen es so. Der FC Schalke 04 ist für viele Fans der Lebensmittelpunkt. „Als Schalker wird man geboren und als Schalker stirbt man. Das ist einfach so“, bemerkt etwa der Fan Markus Kotowski. Als er acht Jahre alt war, nahm ihn sein Vater zum ersten Mal mit ins Stadion. Seither schlägt sein Herz für den Traditionsclub. Schalke-Fan sein heißt, sein Leben in das Zeichen des Vereins zu stellen – und offenbar auch, ihm darüber hinaus die Treue zu halten. Denn seit kurzem ist es möglich, sich auf einem blau-weißen Schalke-Grabfeld beisetzen zu lassen.
Das „Schalke Fan-Feld“ ist Teil des Friedhofs Beckhausen-Sutum, rund einen Kilometer Luftlinie von der Veltins-Arena entfernt. Entworfen wurde das Grabfeld als stilisierte Schalke-Arena von Faru Architekten aus Essen: Zwei leicht gestaffelte „Ränge“, von Gabionen gehalten, fassen das etwa strafraumgroße „Spielfeld“ mit gepflanztem Vereinslogo im Mittelkreis und zwei Toren (ohne Netz) an den Seiten. Auf rund 4000 Quadratmetern finden 1904 Gräber Platz – entsprechend dem Vereinsgründungsjahr. Jedes soll einmal mit einer sechseckigen Grabplatte aus grauem Granit, die an die Wabe eines alten
Lederfußballs erinnert, bedeckt werden. Die Pflanzen blühen (wie könnte es anders sein) in Blau und Weiß. Umgrenzt wird das Feld von einem ebenso farbigen Stadionzaun, in jeder Ecke steht ein königsblauer Flutlichtmast. Zwei Fahnenstangen flankieren den Zugang zum Grabfeld, der wehende Schriftzug verkündet: „S04 – Wir leben dich.“
Zustande kam das Projekt 2007, als die Stadt Gelsenkirchen den ortsansässigen Friedhofsgärtnern Flächen auf den städtischen Friedhöfen zur individuellen Gestaltung zur Verfügung stellte. Das Angebot steht exemplarisch für einen Wandel der Friedhofskultur: Während der traditionelle Gottesacker mit Reihengräbern und Grabsteinen zunehmend aus der Mode kommt, liegen anonyme Bestattungsformen, „Friedwälder“ sowie themenbezogene Gemeinschaftsgrabflächen im Trend. Für den Initiator und Betreiber des Schalke Fan-Feldes, Ender Ulupinar, ist dieser Trend „zukunftsfähig“. Bereits zuvor hatte er Grabfelder im Stil eines Englischen Gartens oder einer Zeche umgesetzt. Vor sechs Jahren kam ihm dann die Idee zum Vereinsfriedhof. „Als ehemaliger Spieler des FC Schalke 04 und lebenslanger Fan war es für mich klar, dass es für einen geborenen Schalker nicht nur möglich sein sollte, in der Schalke-Kapelle getauft und getraut werden, sondern auch beerdigt“, erklärt der Gelsenkirchener. Doch die Idee ist nicht neu.
Längst bildet der Fußball eine eigene Sepulkralkultur. An- gefangen bei Bestattungsunternehmen, die Särge und Urnen im Clubdesign oder Trauerschmuck in den Vereinsfarben anbieten, soll auch die „Lage“ Vereinstreue demonstrieren. Beim FC Barcelona können sich Spieler, Funktionäre und liquide Fans daher in der stadioneigenen Urnenhalle beisetzen lassen. In Amsterdam pflanzte man Stücke des ehemaligen Stadion-rasens als Aschestreufeld auf einen Friedhof. Noch näher dran sind die Fans in Rotterdam oder England: Hier wird die Asche direkt auf dem „heiligen Rasen“ verstreut. Dem britischen „Supporter“ offenbart sich eine weitere Alternative: die Beisetzung am Spielfeldrand. Dabei ist die Nachfrage so groß, dass beim FC Everton der Dienstag zum Fan-Bestattungstag ernannt wurde und die beiden großen Arenen in Liverpool schon lange bis auf die letzte Urne besetzt sind. In Deutschland aber herrscht „Friedhofszwang“, und so kann auch dem noch so naheliegenden Wunsch derjenigen Fans nicht entsprochen werden, die für ihre Urne eine Dauerkarte beantragen möchten, um weiterhin jeden Samstag „live“ dabei zu sein.
Weltweit schuf der argentinische Club „Boca Juniors“ 2006 den ersten Vereinsfriedhof, hierzulande war es 2008 der Hamburger SV. Doch in der Hansestadt blieben die Ränge des stadionrunden Grabfeldes zunächst leer, nur drei Fans ließen sich in den ersten drei Jahren nach Einweihung beisetzen. Bei Borussia Dortmund wurden ähnliche Pläne 2010 eingestellt. Ulupinar betont aber: „Wer mit Blau-Weiß kein Problem hat, ist willkommen. Sogar Dortmunder.“ Auch wenn er sich nicht vorstellen kann, „dass ein Borusse das Bedürfnis hätte, zwischen 1903 Schalkern zu liegen“. Die Grabnummer 09, nach dem Gründungsjahr des Erzrivalen, gibt es ohnehin nicht.
In Gelsenkirchen fanden am Morgen des Eröffnungstages im Dezember 2012 bereits die ersten beiden Beisetzungen statt. Reservierungen und Anfragen soll es reichlich geben, konkrete Angaben darf der Betreiber aber nicht machen. Er sieht vor allem die enge Kooperation der Stadt Gelsenkirchen mit dem FC Schalke 04 und dem Schalker Fan-Club Verband als Vorteil gegenüber dem HSV-Projekt. Darüber hinaus helfe die „große loyale Fan-Gemeinde“. Der Vorsitzende des Schalker Fan-Club Verbands, Frank Arndt, ergänzt, dass das Projekt im Gegensatz zum HSV an kein Beerdigungsinstitut gebunden sei: „Hier ist das Feld für alle offen.“ Ein blau-weißer Flyer informiert über Kosten und Leistungen: Der Preis für eine Grabstelle startet bei 5406 Euro; abgedeckt wird damit von der Grabplatte bis zur Dauergrabpflege alles – inklusive freier Platzwahl. Die Reservierung kostet einmalig 1250 Euro, hinzu kommen jährlich 125 Euro für die Pflege der Gesamtanlage. Die Beerdigung finanziell schwacher Fans wird von der Vereinsstiftung „Schalke hilft!“ getragen. Für Funktionäre und ehemalige Schalke-Spieler ist der Mittelkreis des Feldes reserviert. Preisaussagen hierzu gibt es nicht.
Der pensionierte „Schalke-Pfarrer“ Hans-Joachim Dohm versteht das Bedürfnis der Fans, auch nach dem Tod mit ihrem Verein verbunden zu bleiben und neben gleichgesinnten Freunden beerdigt zu werden: „Sie finden hier ein Stück Heimat mit Bezug zu dem, was sie gelebt und erlebt haben.“ Der Gottesdienst stehe aber nach wie vor unter einer christlichen Botschaft. Rolf Rojekt, der ehemalige Vorsitzende des Fan-Club Verbandes, sicherte sich sogleich die Grabnummer 04. Seine Frau käme nebenan, „da gab es keine Diskussionen“. Auch Ender Ulupinar und Frank Arndt können sich vorstellen, hier begraben zu werden, Markus Kotowski sowieso: „Einmal Schalke, immer Schalke. Das ist die Krönung für mich, ein Grab hier zu haben.“ Doch bis dahin steht er wohl weiterhin jeden zweiten Samstag in der Nordkurve der Veltins-Arena und schmettert: „Wir sind die Jungs ganz in Blau und Weiß, wir sind Schalke treu bis in den Tod.“
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