Bauwelt

Gemeinschaftshaus



Text: Kleilein, Doris, Berlin


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    Adam Mørk

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In der Peripherie von Kopenhagen hat Dorte Mandrup ein Gemeinschaftshaus gebaut, das ein neues Wohngebiet provozierend überragt: Es verschafft den Anwohnern von Albertslund einen besseren Überblick und liefert eine Neuinterpretation des traditionsreichen dänischen Fælleshus.
Das Fælleshus ist die obligate Beigabe der öffentlichen Hand für jedes neue Wohngebiet in Dänemark, auch wenn dieses wie in Albertslund von privaten Investoren entwickelt wurde: ein Gemeinschaftshaus mit langer Tradition, das in der Regel aus einem Holzhaus mit Satteldach besteht. Wie der „Mehrzwecksaal“ hierzulande hat jedoch auch das dänische Fælleshus mittlerweile den Beigeschmack eines gesichtslosen Baus für eine „endlose Abfolge von 40. Geburtstagen“, wie die Architektin Dorte Mandrup erläutert. Der Bauherr, die städtische Entwicklungsgesellschaft Freja, wünschte sich daher ein „untraditionelles Haus“. In der Vorstadt von Kopenhagen, zwischen Reihenhäusern, Gefängnis und Brache, stellt sich zudem die Frage: Für welche Gemeinschaft wird überhaupt gebaut? Was kann ein kleines Gebäude, was kann eine gelungene Architektur zu sozialen Prozessen beitragen?
 
Der Zeigefinger von Kopenhagen

Albertslund liegt eine Dreiviertelstunde mit der grünen S-Bahn-Linie vom Stadtzentrum entfernt. Die Gemeinde ist eine der Kopenhagener „New Towns“, die in den sechziger Jahren gegründet wurden, um dem Wohnungsmangel der Hauptstadt zu begegnen. Bereits 1947 hatte das regionale Planungsamt unter der Leitung des Architekten Peter Bredsdorff den „Fingerplan“ entworfen, ein Leitbild, das die Stadtentwick-lung bis heute bestimmt: Von der „Handfläche“ der Innenstadt wachsen fünf „Finger“ mit Wohnbebauung in Richtung Westen, jeweils durch eine Bahnlinie erschlossen. Zwischen den Fingern ziehen sich grüne, zum Teil bewaldete Gebiete weit in die Stadt hinein. Albertslund liegt fast am Ende des Zeigefingers, danach kommt nur noch Taastrup.
Südlich des S-Bahnhofes von Albertslund wurden 1963– 68 mehr als 2200 Wohneinheiten gebaut, ein Teppich aus Reihen- und vor allem Atriumhäusern nach dem Vorbild von
Jørn Utzons „Kingo Houses“, mit Kanälen und eigenen, von den Fußgängerwegen getrennten Fahrradstraßen. 
Das Fælleshus steht nördlich der S-Bahn, jenseits der vierspurigen Bundesstraße nach Roskilde, und taucht schließlich, nach einer halben Stunde Fußweg und der Umrundung der Justizvollzugsanstalt Herstedvester, als stählerner Korb über den Dächern bescheidener Reihenhäuser auf: ein optimis­tisches Zeichen für eine Siedlung, die abseits jeglicher Infrastruktur auf günstigem Baugrund errichtet wurde.

Satteldach und Gemeinschaftsküche

„Living in a glade“ (Wohnen auf der Lichtung) hat das Kopenhagener Büro Juul & Frost den Städtebau betitelt, der aus zehn eiförmigen Baufeldern mit jeweils 60 Wohneinheiten besteht. Die Baufelder sind locker verteilt auf einer windigen, knapp 15 Hektar großen Ebene und wurden seit 2004 von verschiede­nen Architekten bebaut. Vereinzelt durchqueren Bewohner das Niemandsland zwischen den Ansiedlungen: Väter mit Kindern im Fahrradanhänger und Mütter in indischen Saris, die sich mit dem Kinderwagen gegen den Wind stemmen. Die architektonische Handschrift der „Lichtungen“ reicht von gemäßigtem Landhausstil über Backsteinmoderne bis zu einem schlichten, schwarz verlatteten Großbau, der ebenfalls aus dem Büro von Dorte Mandrup stammt - Letzterer ist ein Wohnmodell, das an dem Ort beinahe exotisch anmutet, denn hier leben 60 Familien als Gemeinschaft und kochen und essen täglich in einer Kantinen-großen Küche. Das neue, von weitem sichtbare Fælleshus am Robinievej steht also insgesamt etwa 600 Familien zur Verfügung, die meisten von ihnen mit kleinen Kindern, die in Albertslund offensichtlich durchaus unterschiedliche Wohnvorstellungen verwirklichen.
Der Neubau, der im Januar dem „Organisationskomitee“ der Siedlung übergeben wurde, bietet zwei Antworten auf den Kontext: Stapeln und Aktivieren. 875 Quadratmeter öffentlicher Baugrund standen zur Verfügung – das Gebäude beansprucht nur einen kleinen Teil der Fläche und streckt sich in die Höhe: Bereits von weitem sollen die Anwohner sehen können, was los ist. Die vorgegebenen 408 Quadratmeter Nutzfläche sind auf vier Geschosse verteilt: Zu ebener Erde ist eine Küche untergebracht, deren Wand sich gleich einem Kiosk nach außen aufklappen lässt, darüber ein 57 Quadratmeter großer Raum für Film- und Theatervorführungen. Im zweiten Geschoss folgt der Hauptraum, ein 125 Quadratmeter großer Mehrzwecksaal, der den Blick in alle Richtungen frei gibt, und obenauf schließlich sitzt der mit einem hohen Drahtzaun geschützte Basketballcourt, der dem Gebäude allein vier seiner 15 Meter an Höhe verleiht. Das Spielfeld ist für die heranwachsenden Kinder gedacht, die in zehn Jahren Rückzugsmöglichkeiten vermissen könnten, ebenso die Skaterbahn, die sich aus der Westfassade entwickelt, und die waghalsige Kletterwand im Süden. „Das Gebäude soll nicht von einzelnen Gruppen privatisiert werden, sondern so aktiv wie möglich sein und sich mit den Bedürfnissen der Bewohner im Lauf der Jahre verändern“, so Dorte Mandrup. Ein Aufzug, eine zusätzliche Außentreppe ins erste Geschoss und mit großen Schiebetüren abtrennbare Räume sind Vorrichtungen, mit denen sich das Gebäude von möglichst vielen Anwohnern unabhängig voneinander nutzen lässt. 
 
Ein edles Gefäß

Mit seiner glänzenden Haut aus perforierten und glatten Aluminiumplatten, die einem rautenförmigen Schnittmuster folgen, sieht das Fælleshus aus, als hätte es sich von der Ørestad, der mit prestigeträchtigen Neubauten gespickten jüngsten „New Town“ Kopenhagens (Heft 08.2009), in den weniger privilegierten Westen verirrt: In Zeiten der Finanzkrise leistet man sich ein edles Gefäß für den öffentlichen Raum. Der „Baum“, als den ihn die Architektin entworfen hat, bietet eine heitere Innenwelt, die den Blick auf die Umgebung nicht verstellt, sondern ihn überhaupt erst möglich macht, geradezu provoziert. In seiner feierlichen Nüchternheit beschwört der Neubau keine zwanghafte Gemeinschaft, sondern versteht sich als überaus brauchbares Vehikel für so manche Aktivität. Ich würde hier gerne meinen 40. Geburtstag feiern.



Fakten
Architekten Mandrup, Dorte, Kopenhagen
Adresse Robinievej 202, 2620 Albertslund (Dänemark)


aus Bauwelt 15.2010
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