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Kreativbüro


SelgasCano haben eine ehemalige Teppichfabrik im Londoner East End zum Coworking-Space umgearbeitet


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Das Café wurde inspiriert von der gedeihlichen Nachbarschaft des Architekturbüros Richard Rogers und des River Cafe


    Foto: Iwan Baan

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    Das Café wurde inspiriert von der gedeihlichen Nachbarschaft des Architekturbüros Richard Rogers und des River Cafe


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    Das röhrenförmige Café, mit dem sich „Second Home“ in die Hanbury Street wölbt, erinnert an das eigene Büro von SelgasCano
    Foto: Iwan Baan

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    Das röhrenförmige Café, mit dem sich „Second Home“ in die Hanbury Street wölbt, erinnert an das eigene Büro von SelgasCano

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    Der Eingangsbereich an der Hanbury Street stimmt auf das „Vintage“-Design ein, das Second Home prägt
    Foto: Iwan Baan

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    Der Eingangsbereich an der Hanbury Street stimmt auf das „Vintage“-Design ein, das Second Home prägt

    Foto: Iwan Baan

Die Hanbury Street im Londoner East End ist ein Conservation Area des Stadtbezirks Tower Hamlets. Unmittelbar angrenzend an die City of London und den Verkehrsknoten des Bahnhofs Liverpool Street, wird dieses Gebiet noch heute stark von Bausubstanz des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt: Backsteinerne Wohn- und Geschäftshäuser, Markthallen, Kirchen und Brauereigebäude verbinden sich zu einem recht geschlossenen Stadtbild aus der Frühphase der Industrialisierung. Bis heute ist dieser Teil der Stadt auch ein Zentrum für Einwanderer, wie sich in der die Hanbury Street kreuzenden Brick Lane mit ihren vielen pakistanischen Geschäften unschwer feststellen lässt. Die eher traurige Berühmtheit der Hanbury Street hingegen – in ihr ereignete sich im September 1888 einer der „fünf kanonischen Morde“, die dem mysteriösen „Jack the Ripper“ zugeschrieben werden – verbindet sich mit den sozialen Problemen, die sich aus der von der Industrialisierung ausgelösten Bevölkerungsexplosion ergaben: Überbevölkerung, Armut, Prostitution, Gewalt.
Von diesem Elend ist heute nichts mehr zu entdecken, doch grundiert es die Wahrnehmung des Gebiets genauso, wie die vornehme Vergangenheit die Gegenwart des West End prägt. Während dort russische und arabische Anleger ihre Reichtümer in Immobilienbesitz sicher wähnen, fühlen sich vom East End eher Vertreter der „creative class“ angezogen. Mit dem Projekt „Second Home“ der spanischen Architekten SelgasCano wurde für sie eine neue Plattform geschaffen: eine 2400 Quadratmeter große Arbeitswelt für die Hipster der „shared economy“, die es gewohnt sind, über einen gemieteten Bereich hinaus Raum gemeinschaftlich zu nutzen, was Dichte, Bewegung und Abwechslung erzeugt; Merkmale des Urbanen, die diese Zielgruppe gemeinhin als inspirierend schätzt, werden somit in die unmittelbare Arbeitsumgebung hinein verlängert.

Google und Apple ausstechen

Schon der Name des Projekts widerspiegelt die psychologische Einfühlung seiner Initiatoren. Second Home, das ist einerseits eine ironische Anspielung auf den bis zur Selbstausbeutung reichenden Idealismus, der die Angehörigen der kulturschaffenden Mittelklasse oft auszeichnet und den Arbeitsplatz zu einer Art Zweitwohnsitz werden lässt, umreißt andererseits aber auch den Anspruch, der sich für das Projekt daraus ableitet: Um die ins Auge gefasste Zielgruppe zu erreichen, gilt es, mehr zu bieten als ein Umfeld, das zwar persönliche wie technische Vernetzung fördert, ansonsten aber auf der gestalterischen Nulllinie heutiger Büroarbeits-welten verharrt – Second Home verspricht seinen Mietern Annehmlichkeiten des Privaten und Wohnlichen auch in ihrer Arbeitswelt vorzufinden.
Rohan Silva spricht die Ambition in aller Deutlichkeit aus: eine Arbeitswelt von größerer An-ziehungskraft, als Google oder Apple je schaffen könnten, um die brillantesten Köpfe in der Stadt zu halten. Er ist erst 33 Jahre alt, war aber schon, bis 2013, als Berater der britischen Regierungskoalition hauptverantwortlich in Fragen der Start-up-Politik für die „Tech City“-Initiative im Londoner Osten. Zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Partner Sam Aldenton initiierte er Second Home, das rund 50 Mietern Platz bietet. Die beiden sehen sich in der Rolle von Kuratoren, die den richtigen Mieter-Mix für das Projekt ausbalancieren.
Die Ausgangslage war durchaus vielversprechend: Der ruppige Charakter des Industriebaus aus der Nachkriegszeit – ursprünglich eine Teppichfabrik –, in dessen hallenartigem Erdgeschoss Second Home auf zwei Ebenen eingebaut worden ist, changiert, wie vergleichbare Räume, die seit den Sechzigern in New York durch Künstler erobert wurden, zwischen Arbeits- und Wohnmilieu. Und SelgasCano, die mit die-sem rund 1200 Pfund Sterling (umgerechnet rund 1600 Euro) pro Quadratmeter teuren Einbau ihr erstes Projekt im Vereinigten Königreich fertiggestellt haben, bevor sie sich als nächstes dem diesjährigen Pavillon der Serpentine Gallery widmen, haben von der räumlichen Konfiguration über die Auswahl der Materialien und Möbel bis hin zu den Farben die richtige Tonlage dieser doppelten Konnotation getroffen.
Zunächst einmal: Der große Raum, der sich von der Hanbury Street im Norden quer durch den Block bis zur Rückseite an der Princelet Street erstreckt, ist in seiner Dimension als Werkhalle nicht mehr wahrnehmbar. Ein Arrangement von gekurvten Wänden aus Acryl sowie eine eingezogene zweite Ebene zonieren die
Halle jetzt, schaffen intime Raumbereiche, deren materialbedingte Durchsichtigkeit immer wie-der von Spiegeleffekten wie mehrfach belichtet wirkt und dadurch in Frage gestellt wird: Wer sich durch die mäandernden, niedrigen Flure bewegt (ihre Raumhöhe wurde reduziert, um in den Decken die benötigte Technik unterzubringen), fühlt sich unweigerlich an Besuche im Spiegelkabinett einer Kirmes erinnert. Durch Vorhänge lassen sich die eingegrenzten, unterschiedlich großen Räume bei Bedarf selbstverständlich verschließen. Die aufgrund der schnellen Innovationszyklen in den anvisierten Branchen erforderliche Flexibilität entsteht in Second Home weniger durch die Möglichkeit, Raumzuschnitte zu verändern, als durch deren Vielfalt.
Erinnerungen werden auch von den hölzernen Regalen mit ihren schlanken Stützen und dem beweglichen Mobiliar geweckt, das ebenfalls den Bogen zum Wohncharakter des Projekts schlägt: Architektin Lucía Cano hat auf Möbelmessen in ganz Europa Stühle und Tischleuchten aus den fünfziger und sechziger Jahren
gekauft, darunter viele Ikonen des Designs jener Zeit, die mit ihrem Gebrauchtding-Charme die in der Architektur angelegten Stimmungen und Bilder aufnehmen und weiterspinnen. Ganz nebenbei fügen sich die rund 600 gesammelten Stühle zu einer veritablen Ausstellung moder-nen Designs. Höhepunkt der Einrichtung ist der „fliegende Tisch“: eine eigens angefertigte, ovale Konstruktion, die mittels einer komplizierten Mechanik an die Decke gezogen werden kann und so das, was gerade noch als Besprechungsraum diente, zum Yoga-Raum für das Team nebenan werden lässt. Eine Mischung aus „fun and function“, wie José Selgas es bezeichnet.

Nicht zuletzt prägen Pflanzen das Zweite Zuhause: Über 1000 Topfpflanzen stehen auf den Regalen in den Räumen verteilt, die in einem eigenen „Pflanzenhospital“ im Hof vom Aufenthalt in den Arbeitsbereichen rotierend kuriert werden – von einem für sie zuständigen Gärtner.
Tüftler aller Länder, vereinigt euch!
Was sich erst nach und nach offenbart, ist die Detailverliebtheit, mit der SelgasCano Second Home gestaltet haben. Immer wieder finden sich abgewandelte Lösungen – mal sind die kleinen, in die Außenflächen der Einbaumöbel eingelassenen Rundleuchten von unterschiedlicher Leuchtintensität, mal ändert sich die Farbe der Schließzylinder der Türen. Und plötzlich sind sich der leichte Retro-Touch der Architektur und die mitunter selbstvergessen wirkende Tüftelei der Start-ups ganz nahe: „The future belongs to the geeks. Nobody else wants it“, hat einer von ihnen an die Zarge seiner Bürotür geklebt. In der Hanbury Street sind beide willkommen.



Fakten
Architekten SelgasCano, Madrid
Adresse Second Home 68-80 Hanbury Street London E1 5JL


aus Bauwelt 9.2015
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Rubriken Architektur der Akkumulation

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