Berliner Stadtschloss
Über Jahre sorgte es für Streit, provozierte Häme und randvolle Feuilletonseiten. Heute scheint es kaum jemanden zu interessieren. Dabei steht es schon fast – das Schloss, das keines wird. Eine Ortsumgehung
Text: Crone, Benedikt, Berlin
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Blick vom Schinkelplatz auf die Westfassade mit dem Eosander-Portal, über dem die Kuppel bis zu 60 Meter emporragen wird
Foto: Jan-Oliver Kunze
Blick vom Schinkelplatz auf die Westfassade mit dem Eosander-Portal, über dem die Kuppel bis zu 60 Meter emporragen wird
Foto: Jan-Oliver Kunze
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Die spätere überdachte Eingangshalle „Agora“ hinter dem Eosander-Portal, im Hintergrund die Folie von Schinkels Bauakademie
Foto: Großer Schlosshof ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2015
Die spätere überdachte Eingangshalle „Agora“ hinter dem Eosander-Portal, im Hintergrund die Folie von Schinkels Bauakademie
Foto: Großer Schlosshof ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2015
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Unter dem Schlosshof wurden 143 Baumstämme als Abstützungen eingefügt, weil oben Baufahrzeuge
herumfahren
Foto: Schlosswald ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2015
Unter dem Schlosshof wurden 143 Baumstämme als Abstützungen eingefügt, weil oben Baufahrzeuge
herumfahren
Foto: Schlosswald ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2015
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Ein künftiger Ausstellungsraum im Schloss
Foto: Großer Schlosssaal ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2014
Ein künftiger Ausstellungsraum im Schloss
Foto: Großer Schlosssaal ©Stefanie Bürkle/VG Bild-Kunst 2014
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Die 117 Meter lange Rasterfassade auf der Ostseite, eine Neugestaltung durch Franco Stella
Foto: Jan-Oliver Kunze
Die 117 Meter lange Rasterfassade auf der Ostseite, eine Neugestaltung durch Franco Stella
Foto: Jan-Oliver Kunze
Aus den Tiefen des märkischen Sandes schiebt es sich empor, Betonscheibe für Betonscheibe, und ragt über die ahnungslos vor sich hin fließende Spree. Jede Seite ist mit Rechtecken durchlöchert, die wie hunderte Augen das vorbeiströmende Volk auf Schritt und Tritt zu verfolgen scheinen. Das Schloss – es steht! – und überrascht mit dem Tempo seines Baufortschritts, der bereits von außen sichtbar ist.
Es gibt aber auch andere, rätselhafte Bilder aus dem Innern des Rohbaus. Fotos von Räumen, die nackt, entblößt, geradezu verwundbar wirken. Sie zeigen die künftige Agora im Westteil, die mit ihrem brutalistischen Charme als Filmkulisse einer Star-Wars-Hochburg dienen könnte. In der Ferne schimmert rötlich surreal der Fassadenaufdruck der Schinkel-Bauakademie. Im Hof liegen ein paar Bretter und Baumstämme, umgeben von Pfützen, als würden weder Mensch noch Wetter respektieren, an welchem Ort sie sich hier befinden.
Drei unserer Fotos stammen von der Berliner Künstlerin Stefanie Bürkle und sind mit Erlaubnis der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum entstanden. Schließlich darf man nicht einfach auf diese Baustelle eines öffentlichen Großprojekts, zumindest nicht ohne Begleitung. Am Telefon verweist ein Pressesprecher freundlich auf Sonntagsbesuche, die in den kommenden Wochen leider ausgebucht seien, und auf eine Pressebesichtung zum Richtfest – leider erst im Juni – mit Bauministerin Barbara Hendricks und Chefarchitekt Franco Stella. Auch bei dem Versuch einer Ortsbegehung ist kein Durchkommen: Bauzäune, Aufstellwände und Spreegraben umlagern das Schloss, schützen es vor streunenden Touristen und illegalem Getanze im Rohbau-Ambiente. Sicherheitskameras auf Stelzen flankieren die Ecken, Wachhäuschen stehen an den Baustellen-Einfahrten im Norden und im Süden.
Dadurch bleibt der Wald unter dem großen Schlosshof, der aussieht, als wäre David Chipperfields jüngste Installation in der Neuen Nationalgalerie mit 143 Fichten im Schlosskeller recycelt worden, der Öffentlichkeit verborgen. Was hier los ist? „Nix is hier los!“, antwortet ein Wachmann auf ein vorgehaltenes Foto der Bäume: Die Stämme würden eine Decke stabilisierten, auf der die Baufahrzeuge kurven. Das sei alles.
Genau das – das hier nichts los ist – ist aber wohl das Erstaunliche an dem rohen Betonkörper: Vor uns steht die profane, unaufgeregte Erscheinung eines selbsternannten Jahrhundertbaus. Kaiserliches ohne Kleider. All das Gerede und Gezänk über dieses Gebäude verstummt weniger aus Respekt vor dem, was wird, als vor dem, was werden könnte. Die Form ist zwar betoniert, aber die Wände sind unbeschriebene Blätter.
Gut gelaunt
„Jeder Rohbau hat eine gewisse Würde“, sagt Stefanie Bürkle. Seit Baubeginn vor zwei Jahren fotografiert sie regelmäßig auf dem abgezäunten Areal und hält fest, was nie wieder zu sehen sein wird. Die Professorin für Bildende Kunst an der TU Berlin betreibt damit eine Archäologie der Gegenwart, die schon nicht mehr vorhanden ist, wenn die Fotos entwickelt sind. Seit mehr als zwanzig Jahren fotografiert die Künstlerin Baustellen in der Stadt, erstellt so ein eigenes Archiv des Berliner Wandels. Auch beim Umbau des Reichstagsgebäudes in den neunziger Jahren war sie dabei. „Damals war es der ausgehöhlte Wilhelminismus“, erinnert sich Bürkle. „Heute, bei der Schlossbaustelle, ist es der entkernte, als Betonguss wieder auferstandene Wilhelminismus.“ Diese Schlossbaustelle, sagt sie, sei bestens organisiert, die Arbeiter gut gelaunt. Aus der Ferne ist das schwer zu beurteilen. Dem Ausgesperrten bleibt nur ein Rundgang ums Gebäude.
An der Westseite, über dem geplanten Eosander-Portal, turnt auf dem Dach ein Bauarbeiter mit zwei Brettern in Richtung Kuppel, die schon bald in den Himmel wachsen wird. Durch den Abstand, den die Spree erzwingt, knallt einem die volle Breitseite des Baus entgegen. Das glatte Portal erinnert wegen seiner beiden tiefschwarzen Nischen an das aufgerissene Maul eines Hummers. Weiter geht es zur beruhigten Südseite, wo der Blick quer durch eine Portalöffnung schießt und bis ans Alte Museum im Norden reicht, als hätte sich der Schlosskörper auf einen Schlag zusammengezogen. Von hier führt ein Holzweg um die Ecke und nah an die „moderne“ Ostseite heran. Sie ist ein über hundert Meter langes, fragiles Gitter, stellvertretend für die letzten Jahre Berliner Ritz- und Lochfassadenarchitektur. Durch das zweite Obergeschoss surrt ein Mann auf einer Arbeitsbühne. Mit einem Bohrer doktert er an den Deckenstreben herum.
Die pilgernden Touristen interessiert all das wenig. Dabei wird mit diesem Schlossbau in bester Absicht versucht, einem vernarbten und zerfallenden Gefüge eine stadträumliche Form zu geben – durchaus mit Erfolg, wie Blicke von Unter den Linden auf die West- oder vom Marx-Engels-Forum auf die Ostseite zeigen. Schaut man jedoch vom Schloss weg und auf andere Baustellen der Umgebung – ein „Wohn- und Geschäftshaus am Schinkelplatz“, der Hines-Gehry-Turm am Alex und die x-te Mall ein Stück weiter – wird deutlich, dass auch ein „Forum“ aus dieser inneren Peripherie kein „Zentrum“ machen wird, ob mit oder ohne Fassade.
Vor dem Schloss klebt an einer Baustellenwand die Werbung einer Baumarktkette. Über sie zieht sich in Schreibmaschinenschrift ein Slogan, der sich nicht nur an das Gebäude oder an den Betrachter, sondern an die gesamte Stadt richten könnte: „Nichts steht Dir so gut wie Dein Projekt.“ In Berlin zählt schließlich nicht das Ergebnis. Es zählt das, was werden könnte – aber nie wird.
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