Bauwelt

Keine Mönchszelle in Paris


Minimaler Grundriss, aber Platz unterm Dach für einen vier Meter großen Kubus: Der Architekt Cédric Schärer baut sich eine Pariser Mansarde zum Wochenend-Quartier um und denkt dabei an Tokio


Text: Schärer, Cédric, Lausanne


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    Mit leichtem Gepäck unterwegs: Reisetasche, Laptop und ein Buch aus der Bahnhofsbuchhandlung sind erlaubt
    Foto: Roland Halbe

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    Mit leichtem Gepäck unterwegs: Reisetasche, Laptop und ein Buch aus der Bahnhofsbuchhandlung sind erlaubt

    Foto: Roland Halbe

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    Foto: Roland Halbe

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    Eingang, Leiter nach oben und schmale Kochnische in einer Flucht
    Foto: Roland Halbe

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    Eingang, Leiter nach oben und schmale Kochnische in einer Flucht

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    Links die Mezzanine und ...
    Foto: Roland Halbe

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    Links die Mezzanine und ...

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    ... rechts der Kamin mit einer Vertiefung, die an Ells-worth Kelly erinnert
    Foto: Roland Halbe

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    ... rechts der Kamin mit einer Vertiefung, die an Ells-worth Kelly erinnert

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    Postkartenblick: Pariser Mansardendach-Forma­tionen

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    Postkartenblick: Pariser Mansardendach-Forma­tionen

Großstadt, Metropole, Paris: die dichte Stadt als ganz besonderer Raum, um für sich sein zu können. Ein Großstadt-Raum, der, selbst wenn sich das mit einigen Adjektiven nicht mehr so einfach hinschreiben lässt, kosmopolitisch und multiethnisch und von einer ständig wechselnden Kunstszene geprägt ist. In meinem Fall ist das Paris, am Ende eines Lausanner Arbeitstages nur knapp vier Stunden Zugfahrt entfernt. Ich wollte mit leichtem Gepäck reisen können. Am Anfang des Projektes stand die Suche nach einem geeigneten Objekt. Mich zog es  in das nordöstliche Zentrum der Stadt. Zunächst dachte ich an einen abgeschiedenen Ort mit verwildertem Garten, fernab im letzten vielleicht noch verfügbaren Hinterhof. Doch dann gewann der Wunsch nach „Paris-Atmosphäre“ die Oberhand, nach den Bildern einer Mansarde über den Dächern. Mit dieser Vorstellung im Kopf durchforstete ich die Immobilienanzeigen im Netz. Angebote, wo etwa Grundriss oder auch die Aussicht nicht stimmten, schied ich konsequent aus, was die Anzahl der zu besichtigenden Objekte drastisch eingrenzte. Erst im Nachhinein allerdings wurde mir klar: Im Grunde hielt ich Ausschau nach etwas Ähnlichem wie dem kleinen New Yorker Studio, in dem ich viele Jahre lang gelebt hatte, und das jetzt Prototyp und verlorenes Paradies zugleich war. Es lag direkt unter dem Dach, hoch oben wie ein Baumhaus, und bot mir den voyeuristischen Ausblick über die Stadt sowohl in die Nähe wie in die Ferne. Ein sicherer und ruhiger Ort, und doch hatte ich den Trubel der Stadt direkt vor der Haustür.

Die Last der Moderne

Beim Entwerfen für das Pariser Studio – oder sagen wir besser der Miniwohnung – wurde mir die Last einiger Vorbilder wie  Le Corbusiers Cabanon, Kisho Kurokawas Nagakin Capsule Tower oder der Airstream Caravans immer deutlicher. Vom Programm her sind diese Entwürfe zwar kaum mehr als ein Schutzdach mit Bad und Kochnische und gehen doch weit darüber hinaus. Alle basieren auf einer strikt begrenzten Anzahl an Parametern, ausgewählten Nutzungsoptionen, die überhaupt erst die Voraussetzung bieten für einen Prozess großer Präzision. Jede Proportion und jede Funktion muss hinterfragt, standardisierte Normen müssen außer Kraft gesetzt werden. Stattdessen geht es um allmähliche, minimalistische Näherungen im Sinne von fortlaufendem Auswählen, Verwerfen, Entscheiden, Entschlacken. Ziel des Entwerfens war, für jeden einzelnen Bestandteil Ambivalenzen möglichst zu eliminieren. Allerdings zielte mein Konzept nicht auf die Idee einer Mönchszelle. Im Gegenteil, das Studio sollte für so unterschiedliche Zwecke wie möglich nutzbar sein: kochen, Freunde einladen und beherbregen können, arbeiten, lesen, schlafen, in den Tag hinein träumen, spielen ... Statt Aktivitäten von vornherein auszuschließen, wollte ich dafür sorgen, dass alles auf der begrenzten Fläche Platz finden würde, indem ich die Grundelemente für unterschiedliche Optionen offen hielt. Damit stellte ich mich bewusst gegen die „Ultra-Spezialisierung“ der Moderne mit ihrer konsumtiven Haltung, die für jede Funktion einen eigenen Raum und entsprechend angepasstes Mobiliar fordert: den Esstisch im Speisezimmer, den Schreibtisch im Arbeitszimmer, den Beistelltisch für die Sitzlandschaft im Wohnzimmer usw. Dank Laptop und mobiler Technik lässt sich der Großteil unserer alltäglichen Tätigkeiten ohne weiteres in ein nomadisches Konzept einpassen. Weder in Innen- noch in den Außenräumen braucht es spezifische Schauplätze für die jeweiligen Aktivitäten. Man kann auf dem Sofa arbeiten, und man kann einen Film gucken während man am Tisch sitzt. Bücher, Filme und Musik sind weitgehend ent-materialisiert und benötigen eigentlich keinen eigenen Aufbewahrungsort mehr – außer natürlich, man möchte Dinge bewusst präsentieren. Damit schrumpft der Bedarf an Raum. Neue funktionale Synergien lassen sich bis ins Extrem herauskitzeln. Statt in für sich geschlossene Teile aufgebrochen zu werden, wird der Raum zu einem informellen Ganzen, einer kontinuierlichen Abfolge funktionaler Zonen: die Implosion eines ganzen Hauses.

4 mal 4 mal 4 Meter

Mein Ziel war, einen komplexen Raum in einem begrenzten Volumen umzusetzen. Als mentales Vorbild hatte ich die fragile japanische Architektur vor Augen – ihre Fähigkeit, vielschichtige räumliche Erfahrungen in sehr kompakte Verhältnisse einzupassen – also gerade nicht die neutrale „White Box“, von der wollte ich mich bewusst distanzieren. Das Studio bildete einen beinahe exakten Würfel mit einer Kantenlänge von 4 Metern. Davon wurden zunächst das Bad und der darüber liegende Wandschrank abgeteilt. Die Strategie für den übrigen Raum bestand im Vermeiden von harten Brüchen zugunsten ei-nes offenen Raumkontinuums mit loser Hierarchie. Mittels einiger weniger Elemente ließ sich der Raum in verschiedene Zonen mit jeweils unterschiedlicher Deckenhöhe, Lichtverhältnissen, Ausblicken oder Raumtemperatur fokussieren. Zwischen dem dämmerigen und geschützten Zwischenboden – Fuchsbau – und dem vorspringenden Platzraum am Mansardenfenster – Adlerhorst – ist ein ganzes Spektrum an Nutzungen möglich. Dank der Orientierung an der horizontalen Linie des Küchengrundrisses und der Vertikale der Hochebene entstand eine dreidimensionale Raumdiagonale, die den Raum großzügiger wirken lässt, als er tatsächlich ist. Um weitere Nutzungsoptionen zu stützen, sind Leiter und Küchentresen nicht fest installiert, sodass bei Bedarf eine moderate temporäre Rekonfiguration des Raums möglich bleibt.
Das Studio aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde im Lauf der Zeit mehrmals umgenutzt. Neben den Spuren des Originalzustandes fanden sich Hinweise auf die vorherigen Bewohner; und wie in einem Krimi hatten die Vorbesitzer Spuren ihrer einstigen Anwesenheit hinterlassen. Sorgfalt war gefragt bei der Entscheidung, ob ich solche Elemente rückbauen und die Verweise auf Vergangenes löschen oder beibehalten sollte. Ich beschloss, manches in einem Akt der Aneignung zu erhalten und wie vorgefunden in ein Spannungsverhältnis zur neuen Konstruktion zu setzen. Decken- und Sockelleisten, alle festen Einbauten und alle Details von minderwertiger handwerklicher Qualität wurden entsorgt. Am Ende behielt ich den originalen Holzboden mit seiner Anmutung von altem Leder, die sechseckigen Steinfliesen, den offenen Kamin mit seinem „tanzenden“ Abzug, der an Arbeiten von Ellsworth Kelly erinnert, und den Querbalken über der Fensterfront als einen Verweis auf die Dachkonstruktion. Die neue Struktur ist aus größtmöglicher Abstraktion heraus entwickelt, als wäre sie ein Pappmodell in vergrößertem Maßstab, wobei der Raum von den schieren Flächen eingehüllt ist. Hinzufügen wollte ich nichts – keine Sockelblenden (noch nicht einmal um etwas dahinter zu verstecken), keine Deckenleisten, keine Zarge für die Badezimmertür, keine Türgriffe usw. Dank der fehlenden Hinweise auf den jeweiligen Maßstab sind die tatsächlichen Größen-verhältnisse im Studio nur schwer zu entziffern.
Aus dem Englischen von Agnes Kloocke 



Fakten
Architekten Schärer, Cédric, Lausanne
Adresse Paris


aus Bauwelt 1-2.2016
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