Bauwelt

Kundenzentrum


Die Friedhofsverwaltung


Text: Hötzl, Manuela


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    Foto: Hertha Hurnaus

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Der Wiener Zentralfriedhof ist einer der größten Friedhöfe Europas. Gegenüber von Tor 2 haben Delugan Meissl ein Büro- und Kundenzentrum gebaut, in dem die Bestattungen organisiert werden und Besucher auf wenige Schwellen stoßen.
Lange und intensiv beschäftigt sich unsere Gesellschaft mit der Erhaltung und Verlängerung unseres Daseins. Ungern nur wird das Altern und Sterben als Teil unseres Lebens wahrgenommen und anerkannt. Ungelöst bleiben darüber Fragen der Gestaltung, die, vor einem sozialen und gesellschaftspolitischen Hintergrund gesehen, durchaus auch in der Architektur mehr Interesse verdienten. 
Ist das Altenheim typologisch eine eher moderne Erscheinung, erfährt die Gestaltung der Grabstätte seit jeher größte Beachtung. Sie steht nicht für das Vergängliche, sondern für die Ewigkeit. Noch bevor der Mensch sesshaft wurde und Häuser baute, errichtete er Gräber. Das Bestattungswesen entwickelte sich bereits in den Hochkulturen in Ägypten und Asien. Neben kultischem und religiösem Brauchtum führten schon in der Antike Erkenntnisse auf dem Gebiet der Hygiene zur örtlichen Trennung von Leben und Tod. Im Mittelalter wurden in Nord- und Mitteleuropa die Orte der Bestattung wieder innerhalb der Städte, rund um die Kirchen, angelegt; Feuerbestattungen waren verboten. Erst im 16. Jahrhundert gab es auch hier wieder Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern. Dies war nicht nur dem akuten Platzmangel aufgrund des Massensterbens durch Seuchen geschuldet, sondern auch den Ideen der Reformation. So gab Martin Luther 1527 in seiner Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ den Rat, Friedhöfe weg von der Kirche zu platzieren. Die Trennung der Grabstätten von der Kirche veränderte auch die Zuständigkeit ihrer Verwaltung. Nunmehr war die Stadt und nicht mehr die Kirche für den Bau und die Instandhaltung der Friedhöfe verantwortlich.
Auch in Wien wurden im Zuge der „Josephinischen Reformen“ gegen Ende des 18. Jahrhunderts innerstädtische Bestattungen aufgegeben und stattdessen fünf „Communale Friedhöfe“ außerhalb des heutigen Gürtels errichtet. Dennoch hatte die Stadt schon Mitte des 19. Jahrhunderts mit Platzproblemen zu kämpfen und plante einen großen, zentralen Friedhof im Süden der Stadt, auf den nordöstlichen Gebieten der Gemeinden Simmering und Kaiserebersdorf, die seit 1892 den 11. Wiener Bezirk bilden. Man rechnete damals aufgrund des Bevölkerungswachstums mit vier Millionen Einwohnern im 20. Jahrhundert. Dementsprechend weitläufig wurde das Areal angelegt. Von den Frankfurter Architekten Karl Jonas Mylius (1839–1883) und Alfred Friedrich Bluntschli (1842–1930) gestaltet, eröffnete der Friedhof am 1. November 1874. Bis heute ist er, nach dem Hamburger Friedhof, mit 2,5 Quadratkilometern der zweitgrößte Friedhof Europas.
Anfänglich hatte der Ort Akzeptanzprobleme. Kritik entzündete sich nicht nur an der interkonfessionellen Anlage, sondern auch an der großen Entfernung zur Stadt und den damit einhergehenden Transportschwierigkeiten. Bis in die zwanziger Jahre erfuhr der Friedhof sieben Umbauten und Erweiterungen und wuchs zu einer riesigen Parkanlage mit vielen qualitätvollen Bauwerken an, als da wären: die Hauptportalanlage und die Borromäus-Kirche von Max Hegele, eine Aufbahrungshalle von Karl Ehn und die erste Feuerhalle in Österreich, errichtet von Clemens Holzmeister auf dem erweiterten Areal jenseits der Simmeringer Hauptstraße.
Die neue Unternehmenszentrale B&F Wien reiht sich fast hundert Jahre später in diese architektonische Ahnengalerie ein. Mit dem großen Unterschied, dass sich das Gebäude weder hinter Friedhofsmauern noch hinter Bäumen versteckt. Das Grundstück liegt vielmehr exponiert gegenüber von Tor 2 an der Hauptachse des Friedhofs und an der Simmeringer Hauptstraße. Rational betrachtet, handelt es sich um einen Verwaltungsbau mit Kundenzentrale, also um ein Bürohaus mit operativen und administrativen Bereichen, in dem die bisher geschäftlich und räumlich getrennten Firmen Bestattung und Friedhöfe Wien erstmals unter einem Dach vereint sind. Gemeinsam werden jährlich 18.000 Bestattungen organisiert und 46 Friedhöfe betreut. Ergänzt wird das Angebot durch Steinmetzerei und Gärtnerei. Kontext und Organisation verlangten somit nach einem Raumprogramm, das einen Ort der Begegnung und einen Ort der Arbeit kombiniert. Schließlich befindet sich ein Großteil der Kunden in einer emotionalen Ausnahmesituation. 
Die Architekten des Wiener Büros Delugan Meissl, im Wettbewerb 2009 mit dem ersten Preis bedacht, beziehen sich auf Sichtachsen und Raster des Friedhofs. Vordergründig wählten sie einen simplen Quader, dessen weiße, mit wenigen Schlitzen versehene Metall-Fassade kaum die Baumasse dahinter erkennen lässt. Die Form bildet, als Referenz zum Kontext, einen rechteckigen Rahmen, innerhalb dessen sich ein U-förmiger Baukörper spannt. So entstehen Nischen, Terrassen und Freiflächen. Die Fassade bleibt eine trennende, schützende Schicht, die differenzierte Sichtbeziehungen zulässt. Bis ins Detail der schmal gegliederten Fensterausbildung bleibt dieses Thema bestehen. 
Das Erdgeschoss ist dem Kundenbereich vorbehalten, darüber befinden sich großzügige Einzelbüros, Besprechungsräume, Kantine mit Speisesaal und drei Terrassen. Der Eingang ist von der äußeren Fassade und der Straße abgerückt. Der so entstandene Vorplatz wurde mit Schaugräbern und Steinmetzarbeiten gestaltet. Ein schwellenloser Übergang, raumhohe Verglasungen und Oberlichter lassen das gesamte Erdgeschoss als ein großes Raumgefüge wirken. Direkt hinter der Tür befindet sich ein Informationspult, mittig im weiten Foyer sind offene Beratungsnischen als große Büroinsel angeordnet. An der südostseitigen Fassade befindet eine Reihe geschützter Kojen für eine diskretere Betreuung. Im hinteren Teil, hinter einer Wand etwas abgerückt, ist der Schauraum mit einer Auswahl von Särgen und Urnen. Die Inneneinrichtung ist ebenso weiß gehalten wie die Fassade. In ihrer Höhe und Form sind die Tische, Regale und Ablagen auf einen minimalen Sichtschutz ausgelegt. Dies gewährt dem Kunden eine leichte Orientierung und hilft, räumliche und emotionale Schwellen abzubauen.
Die Architekten verweisen auf eine Auffassung von Architektur, deren Bedeutung in einem System von Bezügen besteht. Demnach soll ein Gebäude immer „möglichst vielseitige Beziehungen zwischen Architektur und Umfeld“ generieren. Eine Programmatik, die ebenso auf die Benutzer und deren „physischen Präsenz“ verweist. Ohne Unterordnung oder Pathos sind DMAA in diesem heiklen Kontext an die Aufgabe herangegangen. Mit geradezu klassischer Ruhe verschmelzen Körper und Raum zu einem Gefüge von Verschlossenheit und Offenheit. Repräsentabel und effizient. Architektur als zeitloses Zeichen. Architektur als Teil des Lebens.



Fakten
Architekten Delugan Meissl, Wien; Mylius, Karl Jonas (1839–1883); Bluntschli, Alfred Friedrich (1842–1930)
Adresse Simmeringer Hauptstrasse 339 A-1110 Vienna


aus Bauwelt 31.2013
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