Luftfahrtmuseum
Aviation-Park Krakau
Text: Klauser, Wilhelm, Berlin
Vor fünf Jahren gewannen die Berliner Architekten Pysall Ruge den Wettbewerb für die Ausstellungshalle des Luftfahrtmuseums am Rande eines über sechs Hektar großen Areals. Der erste öffentliche Bau eines deutschen Büros in Polen wurde am 18. September im Beisein von Ministerpräsident Donald Tusk eröffnet.
Ein verbogenes Schild weist in den Wald. Eine Tragfläche steht hochkant zwischen den Bäumen, dann kommt rechter Hand ein gut gesichertes, neues Wohnareal, an dem die Schotterstraße entlangführt. Plötzlich ist da die Fassade. Eine dunkle Betonwand, die über dem Boden zu schweben scheint. Sie weicht leicht zurück und legt einen Vorplatz frei. Schon von hier aus sieht man die Maschinen. Sie sind überall. Sie liegen vor den alten Garagentoren, sie liegen sogar auf den Parkplätzen, sie stehen auf den Wiesen. Über 200 Düsenjäger, Aufklärer, Helikopter. Auf den Hangars, dem Flugfeld und dem Taxiway sind noch die Reste der Tarnbemalung zu entdecken. Neben den Garagen lagern Flügel auf alten Traktorenreifen. Das ist nicht inszeniert. Es ist einfach so. Ein Flugzeug ist eine große Maschine, sie muss irgendwo abgestellt werden. Der Verzicht auf museale Beschönigung ist erfrischend und trägt wesentlich zum Charme dieses Arrangements bei. Einige Alleen durchziehen das große Feld, dann folgen Wiesen, und am Horizont sind die Plattenbauten von Nova Huta (Neue Hütte) zu sehen, eine sozialistische Planstadt, die ab 1949 erbaut wurde. Dort steht auch das große Stahlwerk. Davor sind jetzt irgendwelche Forschungsinstitute und ein belangloser Businesspark zu sehen. Hier ist der Besucher weit entfernt vom Stadtzentrum mit den Touristengruppen aus aller Herren Länder, die für ihre Kurzbesuche die Vorteile der Billigflieger beim Schopf ergreifen. Das hier ist anders: Der Aviation-Park hat eine ganz eigene Identität. Das ist der alte Flughafen von Krakau. Hier ist das polnische Flugzeugmuseum. 1963 gegründet, hat es jetzt mit einem Neubau die Chance, sich als das zu präsentieren, was es ist: eine europäische Sammlung ersten Ranges. Konstruktionsdokumente, historische Fotos – und die Flieger.
Ansage
2005 hat das Berliner Architekturbüro Pysall Ruge zusammen mit seinem polnischen Partnerarchitekten Bartolomiej Kisielewski den Wettbewerb gewonnen (Bauwelt 19.2005). Wer die Ausschreibung heute liest, ist erstaunt. Sie ist einfach und kurz. Sie erwähnt die denkmalsrechtlichen Rahmenbedingungen – das ganze Areal war geschützt – und die Vorstellung, aus dem alten Flughafen einen Aviation-Park, eine Landschaft zu entwickeln, die auch für die über 200.000 Bewohner, die unmittelbar um das Flugfeld herum wohnen, einen Erholungswert hat. Fast beiläufig wird ein Rahmen von 3500 bis 4000 Quadratmeter Nutzfläche festgelegt für ein neues Gebäude, und es gibt den Wunsch, auf dem Areal einen Orientierungspunkt zu haben, eine Art Eingangssituation für das Museum. Mehr war da nicht, und der Entwurf hat auf diese Ansprüche eine überzeugende und kohärente Antwort gegeben: Die räumlichen Zusammenhänge sind schlüssig gelöst, und die Integration in das Areal ist offensichtlich. Es ist trotzdem ein rätselhaftes Objekt entstanden, das seine Komplexität erst bei genauem Hinsehen offenbart: Eine dreiflügelige Anlage aus einem quadratischen Baufeld herauszuschälen ist nicht alltäglich. Wie eine einfache Kinderwindmühle oder ein Stück gefaltetes Papier sieht das in der Aufsicht aus.
Gebrauchsanweisungen
Die Architektur übertönt die Flugzeuge nicht, sondern setzt ihnen eine eigene Sprache entgegen: Das hier ist auch eindeutig kein Hangar, was ein anderes naheliegendes Bild wäre. Man sieht schwere Betonwände, ihr Übergang ins Dach ist bruchlos. Sie wölben sich schützend über die Räume, wölben sich unter das Gebäude und sind schräg angeschnitten. Dort, wo sie zurückweichen, treten Glasfassaden hervor, Schaufenster, hinter denen die Exponate stehen. Aus diesen Fenstern heraus aber wird auch der Blick immer möglich sein und der Bezug zum Flugfeld. Eine klare Ansage der Architekten also schon im Eingangsgebäude: Es ist falsch, sich an die kühnen Formen der Flugmaschinen anzupassen oder an ihre Materialität, es ist falsch, sich ein Camouflage-Jäckchen überzuziehen oder anderweitig abzuheben. Dieses Haus wird nicht fliegen, es soll auch gar nicht fliegen. Es ist ein Anker.
Ungefähr 40 auf 40 Meter, das war der Fußabdruck der vorgefundenen Hangars, in denen die Sammlung gelagert wird. Darauf bezogen sich die Entwerfer. Zwölf Meter waren die alten Gebäude hoch, mehr ging nicht. Da jährlich eine Flugschau stattfindet, ist die Höhe limitiert. Durch drei gezielte Einschnitte haben die Architekten das so definierte Volumen in Bezug zur Umgebung gesetzt und das Areal mitsamt den Flugzeugen und der alten Substanz inszeniert. Die Eingangsseite weicht vor dem Besucher zurück und leitet ihn. Dann sind da aber auch der Ausblick auf das Flugfeld und der Blick zwischen die Hangars, auf die die anderen Einschnitte reagieren. Der Besuch im Museum führt fraglos auch in den Außenbereich, das wird sofort klar. Man will wissen, was in den alten Hangars los ist, auf die Wiese gehen und auf das Flugfeld. Das ist der Eingang. Das Feld scheint aus dem Gebäude herauszufließen. Umgekehrt ist da aber auch der Blick vom Flugfeld zurück: Von jeder Richtung aus bietet sich eine andere Ansicht. Das Gebäude organisiert durch seine Ausstrahlung die Bewegungen in der Fläche.
Zunächst aber ist der Besucher im Zentrum des Hauses und blickt sich um: Drei Flügel, das erlaubt eine einfache Orientierung. Die Räume sind überschaubar. Rechter Hand ein kleiner Kinosaal, 40 Business-Class-Sitze der großen deutschen Fluglinie (Seite 22), für eine Busladung Schulkinder, die in die Faszination Fliegen einsteigen. Dahinter ein pädagogischer Bereich und erste Exponate. Zum Flugfeld orientiert liegt die zentrale Halle. Zehn Meter ist sie hoch. Einige der wertvollsten und buntesten Stücke aus der Ausstellung haben es hierher geschafft. Eine raumhohe Toranlage gibt es, durch die die Flugzeuge einfach hineingerollt werden können. Und hinter dem Besucher gibt es einen Flügel für die Verwaltung und die Bibliothek. Eine offene, delikat detaillierte Treppe führt ins erste Obergeschoss. Es folgen ein großzügiger Vorbereich des Mehrzweckraums, der Übergang zur Bibliothek, eine kleine Küche für das Catering. Und im zweiten Obergeschoss dann die Büroflächen. Das geschickte Arrangement der unterschiedlichen Raumhöhen lässt nicht eine Sekunde den Eindruck aufkommen, die strikt auf zwölf Meter limitierte Gesamthöhe wäre nicht zu bewältigen. Das ganze Gebäude ist von Tageslicht durchströmt, der Blick streift durch das Gebäude und fällt auch immer wieder nach draußen. Keine Spur von Enge. Es ist gelungen, ein Haus zu bauen, das sich fast von selbst erklärt. Den enormen Planungsaufwand, den das gekostet hat, kann man nur erahnen. Da sind wenige Materialien: Sichtbeton, anthrazitfarbene Fassadenkonstruktionen und Aluminium, um die Sonderräume – Kino und Mehrzweckraum – hervorzuheben. All dies mit ungeheurer Sorgfalt durchgearbeitet. Hier gibt es keine unnötigen Details, die ablenken. Wichtig sind die Flugzeuge.
Trotzdem Details
13 Millionen Euro hat das alles gekostet. Neun Millionen wurden aus den Fördertöpfen der Europäischen Union eingeworben. Etwa 4500 Quadratmeter Fläche entstanden dafür, inklusive einer Überarbeitung der Außenanlagen, in Ansätzen zumindest: Das ist nicht teuer. Entscheidend ist allerdings die Frage, ob sich dieses Haus im alltäglichen Betrieb bewährt. Längst nämlich müssen Museen ihre Budgets auch selbst einwerben und genau auf die Betriebskosten achten. Es mag kleinlich erscheinen, dass der Entwurf sehr gezielt auf solche alltäglichen Anforderungen eingeht, aber tragfähige und praktikable Lösungen zu finden ist in Polen von existentieller Bedeutung – eine Institution wie das Flugzeugmuseum muss im Betrieb weitgehend auf staatliche Transferleistungen verzichten. Technisch avancierte Informationsvermittlung scheidet damit aus, müsste doch jedes interaktive Angebot innerhalb kürzester Zeit radikal überarbeitet und erneuert werden. Die Exponate selbst sprechen für sich. Der Verzicht auf Bildschirm und Digitales ist konsequent und wohltuend. Die Atmosphäre, die hier entsteht, vermittelt den Eindruck, als wären die Objekte jederzeit flugbereit. Das ist spannender als jeder Erklärungsversuch. Die Ausstellung, die die Architekten zusammen mit den Kuratoren des Hauses konzipierten, ist schlüssig.
Darüber hinaus sind mit wenigen, gut überlegten Planungsentscheidungen die Voraussetzungen geschaffen worden, dass die Betriebskosten nicht durch die Decke gehen. Zunächst sind, dank der Planung, die Räume gut zu bewirtschaften. Die Flächen im Angebot sind unabhängig voneinander für andere Veranstaltungen, so für Konferenzen und Schulungen, nutzbar, Sonderausstellungen können bequem den Mehrzweckraum bespielen. Dabei wird den Teilnehmern immer bewusst sein, wo sie sich befinden, denn die Flugzeuge bleiben sichtbar. Das ist ein unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal, das sicher Anziehung haben dürfte.
Daneben gibt es aber auch ein intelligentes und einfaches System, um die laufenden Kosten zu reduzieren. Das Grundkonzept ist die natürliche Belüftung und Belichtung aller Gebäudeflügel. Lediglich das Kino und der Mehrzwecksaal erhalten erwärmte bzw. gekühlte Zu- und Abluft. Für die Flügel selbst wurden unterschiedliche Temperaturzonen festgelegt. 20 Grad sind für die Büros und die Nutzräume angesetzt, 18 Grad für den Flügel mit den pädagogischen Angeboten und 15 Grad für die große Ausstellungshalle. Bewegliche Glasfaltwände grenzen die Zonen zum Eingangsbereich hin ab und erlauben die Steuerung. Durch die bewusst gestaffelten Temperaturzonen kann in den kalten Wintermonaten eine Energieeinsparung um 40 Prozent gegenüber einer gleichmäßigen Temperierung durchgesetzt werden. Den Exponaten tut das nicht weh, die waren anderes gewöhnt in luftiger Höhe. In den Sommermonaten ist dann durch die intelligente Ausrichtung der Fensterflächen und die Beobachtung des Nutzerverhaltens eine Überhitzung ausgeschlossen. Ein außen liegender Sonnenschutz ist nicht notwendig. Die große Fassade der Flugzeughalle richtet sich nach Norden. Wenn die Sonne auf die Westfassade mit den Büros und der Bibliothek fällt, ist schon Feierabend. Die Masse der Betonwände und die natürliche Belüftung über Dach gewährleisten die Nachtauskühlung. Die Architekten haben mit dem Neubau für die großen Vögel eine realistische Bühne konstruiert.
Rückblick
Es wäre aber nicht richtig, es bei einer Beschreibung und Kritik des Gebäudes zu belassen. Das geht auch gar nicht. Die Geschichte wäre unvollständig. Hier gibt es viele Geschichten, denn all das, was hier ausgestellt wird, ist berührbar – und es berührt. Das ist ein Ort für Nerds und Flugfreaks, die sich im Paradies wähnen. Und gleichzeitig ist es ein Ort, dessen besonderem Charme sich auch hartgesottene Technikverweigerer nur mühsam entziehen können. Das Thema spricht den Bauch an, zuerst, dann den Kopf. Da ist zum Beispiel die „Kuckuck“. Sie erzählt von einer gelungenen Flucht, 1971, in einem selbstgebauten Flieger. Im Wohnzimmer wurde das Gerät gebaut, über den Balkon abgeseilt, und dann flog es davon, bis nach Jugoslawien. Das Unikat ist erst 1994 nach Polen zurückgekehrt. Es steht jetzt unmittelbar am Eingang. In den Hangars sind Ingenieursleistungen aus den Anfängen der Fliegerei zu sehen, sorgfältig restauriert und ausgeleuchtet. Hier werden Flugzeuge zu Sehnsuchtsmaschinen. Die Motoren, die Verspannung oder die abenteuerlichen Konstruktionen sind wahre Kunstwerke.
Und hier gibt es dann einen delikaten Twist in der Angelegenheit, jenseits aller Architektur. Das ist eine andere, politische Geschichte – mit noch offenem Ausgang. Wertvolle Teile der Sammlung in Krakau kommen nämlich aus dem ehemaligen Luftfahrtmuseum in Berlin. Sie waren 1943 ausgelagert worden, um sie gegen die Bombenangriffe zu schützen, und fanden schließlich den Weg hierher. Und damit befinden wir uns in einer endlosen Diskussion über die Rückgabe von Kulturgut. Das ist hochsensibles Terrain, und niemand weiß, wie das Problem zu lösen. Seit Jahren stocken die Verhandlungen. Aussage steht gegen Aussage, Besitzansprüche werden formuliert und abgewiesen. Ein wahnwitziges Szenario: Die Faszination, die ein Flugzeug auslösen kann, muss mit dem Bauch verstanden werden. Erklären lässt sie sich nicht. Hier wird niemand nachgeben. Wer diese Objekte also besichtigen will, der muss sich auf den Weg nach Krakau machen. Und das ist gar nicht schlecht so. Denn es gibt eine weitere Geschichte. Zum ersten Mal haben deutsche Architekten in Polen ein öffentliches Gebäude bauen können. Sie haben sich durch Sprachbarrieren, Befindlichkeiten und Mentalitätsunterschiede hindurchgearbeitet, und sie haben ihr Konzept umgesetzt. Vielleicht gibt es jetzt eine neue Geschichte, die zu einem guten Ende kommt.
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