Der neue Bau des Museum Folkwang in Essen ist, obwohl nicht explizit für die europäische Kulturhauptstadt entworfen, im Rahmen des EU-Programms 2010 ein Paukenschlag. Die Architektur beschließt eine schwierige, über achtzigjährige Planungsgeschichte.
Anfang Dezember letzten Jahres. Ich bin eingeladen zur Vorbesichtigung des neuen Folkwangmuseums, das am 30. Januar 2010 eröffnen wird. Am Essener Bahnhof herrscht Chaos. Jeder will so schnell wie möglich weiterkommen. Der Tag ist kalt. Doch die Ausgänge sind zugestellt, Baustellen überall. Die unterirdischen Wege führen ins Leere – hektische Arbeiten, um den Bahnhof für den Start Essens als europäische Kulturhauptstadt herzurichten. Schließlich finde ich einen offenen Ausgang Richtung Süden, dorthin, wo die Nachkriegsmoderne die Bedürfnisse der Fußgänger aus den Augen verloren hat. Es ist viel passiert entlang der südlichen Achse, vorbei an Aaltos Musiktheater und der sanierten Philharmonie im Stadtgarten. Und doch: Das städtische Kulturquartier, das sich hier zusammenaddiert, hat immer noch große Schwächen, wenn es um das räumliche Beziehungsgeflecht geht. Trotz dieser und jener Verbesserung gibt es für den Fußgänger noch immer keine schlüssige Querverbindung vom Stadtgarten hinüber zum Museum.
Die Geschichte des Ortes des Museums Folkwang selbst zeigt jenen Bruch zwischen einer ausgelöschten Vorkriegs- und einer kargen Nachkriegsmoderne, deren unbehaust wirkende Strukturen sich nur mit Mühen weiterentwickeln lassen. David Chipperfield beherrscht wie zurzeit nur wenige andere Architekten den Umgang mit stadträumlich kargen Hinterlassenschaften. Er ist der Garant dafür, dass dem nachvollziehbaren Wunsch nach einem spektakulären Museum nicht die großräumliche Verbesserung geopfert wird. Dass Chipperfield in Essen bauen konnte, trotz notorischer Geldsorgen der Stadt, hängt allerdings nur indirekt mit dem Programm der europäischen Kulturhauptstadt zusammen. Verantwortlich war eine bauliche Notsituation. Sie führte zu der Frage, wie der ungeliebte Achtziger-Jahre-Erweiterungsbau des Museums zu modernisieren sei. Eine Sanierung des qualitätlosen und städtebaulich mit vielen Fehlern behafteten Baus erwies sich als zu teuer. Nach langem Gezerre greift 2007 Berthold Beitz mit seiner Stiftung ein und spendet als Deus ex machina Geld für einen Neubau. In kurzer Zeit wird ein prominent besetzter Wettbewerb ausgeschrieben, den Chipperfield gewinnt. Der englische Architekt setzt – auch angesichts des knapp bemessenen Budgets – auf eine Weiterentwicklung der nüchternen, aber überzeugenden Qualitäten des Nachkriegsmuseums. Der sogenannte Loy-Bau von 1960 zeigt vor allem eins: eine strukturell gedachte Konzeption um Innenhöfe, ein Ineinander von Innen und Außen und geschickt miteinander verbundene, neutrale und nutzungsoffene Räume für die Kunst.
Dem Besucher bietet sich jetzt, nach der Erweiterung um 3600 Quadratmeter, ein Rausch von gut nutzbaren Wändflächen, an denen entlang die herausragende Sammlung ihr neues Domizil findet. Allein der 1390 Quadratmeter große Raum für Wechselausstellungen ist mehr als anderthalb mal so groß wie der legendäre Raum der Mies’schen Nationalgalerie in Berlin.
Pistazieneisgrüne Fassade
Chipperfields Entwurf greift ein in die angrenzende heterogene Stadt. Die Museumshöfe sind, obwohl man dies als Besucher zunächst kaum wahrnimmt, jeweils nach außen orientiert. Die Ausstellung verzahnt sich über große Fensterflächen mit der Umgebung. Die Flächen liegen über einem steinernen Sockel auf einer Ebene – ein entscheidender Kunstgriff des Entwurfs, um mit der schwierigen Topographie fertigzuwerden und auf der einen Seite an die Schneise der vierspurigen Bismarckstraße anzubinden und auf der anderen Seite die grünen Querachsen einfacher Wohnbauten der Fünziger und Sechziger ganz nah heranrücken zu lassen. Mit diesem Konzept zielt Chipperfield auf die selbstverständliche Qualität nordeuropäischer Museumsarchitektur, die Bauten wie im dänischen Louisiana oder im alten Museum von Malmö auszeichnen.
Der Grundton der Architektur in Essen allerdings bleibt kühl. Nichts wirkt heimelig. Die Wände sind weiß und abstrakt, Gleiches gilt für die gerasterten Lichtdecken. Der Hallengrundriss des Querschnitts mit seiner Nähe zur Industriearchitektur ist immer präsent. Eine Reihe von schludrigen Details sind wohl der schnellen Bauzeit geschuldet. Wenig durchdacht sind etwa die gläsernen Deckleisten der Fassade, dort, wo sie die darunter liegende Stahlkonstruktion hilflos camouflieren. Auch der öde Kunststeinboden im Inneren ist allenfalls praktisch.
Jedem ankommenden Besucher springen sofort zwei Dinge ins Auge: die große Freitreppe hinauf zum Museum und
die pistazieneisgrüne Glaskeramikfassade. Die Fassadenfarbe macht vor allem eines deutlich: Hier ist mit großer Aufmerksamkeit für viel Licht gesorgt worden. Die Sammlung des Museums, deren Geschichte eine der spannendsten in Deutschland ist, findet hier ihre passende Umgebung, ihr passendes Licht. Damit knüpft der Bau an jene heroischen Zeiten an, als das Museum, erweitert durch Edmund Körner (Heft 17.1929), zum schönsten Museum der Welt apostrophiert wurde. Die außergewöhnlichen Fotos von Albert Renger-Patzsch aus den frühen dreißiger Jahren belegen dies noch heute. Eine Frage stellt sich trotzdem: Trifft die große nüchterne Hallenarchitektur des Chipperfield-Baus die Anforderungen eines zeitgemäßen Museumsbetriebs? Brauchen wir heute, anstatt eines ausgeklügelten Minimalismus, nicht mehr offene, provisorische Konstruktionen, aus denen die Kunst mit derbem Griff in den Alltag hinauslangen kann? David Chipperfield, dazu von mir befragt, sagt: Weltweit – gerade auch in den USA – würde die Kritik an zu viel Öffentlichkeitsbrimborium der Museen wachsen, zumindest dann, wenn dabei die Kunst selbst in den Hintergrund gerückt wird. Das ist richtig. Folkwang ist ein Gegenmodell zur opulenten Museumsarchitektur der letzten Jahre und insofern beispielhaft. Wie alle Gegenmodelle, so läuft allerdings auch das Folkwangmuseum Gefahr, einen zu hohen Ton anzuschlagen.
Am Ende der Besichtigung wird im Mehrzweckraum Kürbissuppe serviert. Der Raum hat, daran ist das in letzter Sekunde zusammengekaufte Mobiliar Schuld, den Charme einer Firmenkantine. Es dürfte nicht schwer sein, Künstler einzuladen, den Ort in Besitz zu nehmen. Die Frage ist, wie aktiv die Museumsleitung mit den Möglichkeiten des Baus umgeht.
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