Senffabrik in Oudenaarde
Die Architekten David Dhooge und Saar Meganck realisierten im belgischen Oudenaarde eine Fabrik für Senf und eingelegtes Gemüse – als einen kontemplativen Tempel.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
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Die Senfkörner werden angeliefert: Unter Luftdruck werden sie nach oben in die Senfkörnertanks gepustet.
Foto: Frederik Vercruysse
Die Senfkörner werden angeliefert: Unter Luftdruck werden sie nach oben in die Senfkörnertanks gepustet.
Foto: Frederik Vercruysse
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Die Fabrik steht am Rande eines Industriegebietes, welches an ein Naturschutzgebiet angrenzt.
Foto: Frederik Vercruysse
Die Fabrik steht am Rande eines Industriegebietes, welches an ein Naturschutzgebiet angrenzt.
Foto: Frederik Vercruysse
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Der runde Vorplatz soll nochmit einem zwei Meter hohen Zaun umfasst werden. Das verstärkt nicht nur die Sogwirkung des Eingangs. Dahinter kann man auch Produktionsutensilien wie Tonnen und Behälter verstecken.
Foto: Frederik Vercruysse
Der runde Vorplatz soll nochmit einem zwei Meter hohen Zaun umfasst werden. Das verstärkt nicht nur die Sogwirkung des Eingangs. Dahinter kann man auch Produktionsutensilien wie Tonnen und Behälter verstecken.
Foto: Frederik Vercruysse
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Hell und offen: ...
Foto: David Dhooge
Hell und offen: ...
Foto: David Dhooge
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Von der Helix-Treppe kann man in die Produktionshalle schauen, ...
Von der Helix-Treppe kann man in die Produktionshalle schauen, ...
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... ebenso vom Büro auf der Empore aus.
Foto: Frederik Vercruysse
... ebenso vom Büro auf der Empore aus.
Foto: Frederik Vercruysse
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Der Raum mit den roten Tanks ist ein Ruheraum. Hier kommen die Mitarbeiter hin, um der essighaltigen Luft zu entkommen und durchzuatmen.
Der Raum mit den roten Tanks ist ein Ruheraum. Hier kommen die Mitarbeiter hin, um der essighaltigen Luft zu entkommen und durchzuatmen.
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Foto: Frederik Vercruysse
Foto: Frederik Vercruysse
Nur das leise plantschen einiger Wasservögel hört man; etwas entfernt die Autos auf der Schnellstraße, welche das ostflämische Städtchen Oudenaarde mit Gent verbindet. Auf dem Weg vom Bahnhof zur Senffabrik von Camp’s läuft man durch den beschaulichen Ort, am See Donk entlang, über matschige Fußwege, vorbei an Wiesen, wilden Sträuchern und dich-tem Unterholz. Eine kleine Fußgängerunterführung später und es tut sich eine neue Szenerie auf: Mitten in der Landschaft eine scharfe Zufahrt und ein kreisrunder Platz, dahinter ein Tempel. Steht man hier inmitten einer antiken Arena? Vor einem klassizistischen Monument? Oder ist das postmodern? Man fühlt sich ein wenig wie in die surrealistischen Zeichnungen von Claude-Nicolas Ledoux und Étienne-Louis Boullée hineingeworfen: Streng geometrische Formen, eine karge Fassade und eine ehrwürdige Aura, die das Gebäude umgibt. Dass diese Sze-ne sakral anmutet, ist nicht ganz unbeabsichtigt.
Die Firma Camp’s wurde bereits 1905 gegründet und bis 2010 von der Familie Van Camp geführt. Auch heute noch herrscht hier mit nur acht Mitarbeitern eine sehr familiäre Atmosphäre. 2011 übergaben die Gründersöhne Albert und Robert Van Camp die Firma an Ben Decock. Er ist studierter Psychologe und war fast 20 Jahre in der Verbraucherforschung tätig, bevor er ein Sachbuch über das Lachen schrieb und heute Unternehmer in der Lebensmittelindustrie ist. Trotz einem Markenrelaunch und der Erweiterung des Sortiments behielt er stets die Firmentradition und die alten Rezepte im Hinterkopf. Der Neubau sollte ebendiesen zeitlosen Geist der Firma weitertragen. Als die Architekten David Dhooge und Saar Meganck für den Neubau der Fabrik beauftragt wurden, erhielten sie eine Carte blanche mit nur einer Bitte: Die Fabrik soll einer Abtei gleichen. Decock wünschte sich einen Ort, der nicht vor wirtschaftlichen Antrieb strotzt, sondern in dem seine Mitarbeiter wie Mönche und Nonnen in enger Gemeinschaft nach dem Grundsatz Ora et labora handeln – bete und arbeite: Das Leben steht nicht im Dienste der Arbeit, sondern andersherum. Die realisierte Senf-Abtei hat diese spirituelle Strahlkraft, die in den Bann zieht. Der halbrunde Ausschnitt auf der Vorderseite löst eine Sogwirkung aus und man möchte sofort eintreten und Zeuge des Senf-Produktions-Zaubers werden. Es ist die einzige Öffnung auf der Vorderseite und der einzige Eingang, damit also gleichzeitig Lieferzone. Die Architektin Saar Meganck betont, dass der schlichte Bau und sein verdichtetes Raumkonzept vor allem auch ein Ergebnis des kleinen Budgets sind. So erklärt sich, dass der runde Vorplatz das Mindestmaß des Wendekreises von LKWs hat und die fehlenden Öffnungen auf der Vorderseite damit zu tun haben, dass dahinter die Stauräume sind.
Dass hier Senf produziert wird, merkt man direkt in den ersten zehn Sekunden nach Betreten des Gebäudes. Der Essig in der Luft reizt die Augen und kitzelt in der Nase. „Wir haben noch ein wenig Probleme mit der Lüftungsanlage“, erklärt Saar Meganck. Im Inneren verschwindet der erste Eindruck eines verschlossenen Tempels. Das Gebäude ist offen und hell. Vom Eingang aus kann man durch den gläsernen Treppenschacht bis in die zweigeschosshohe Produktionshalle schauen. Betreten wird sie über eine Schleuse aus Waschräumen. Dank der zahlreichen Öffnungen auf der Rückseite des Gebäudes ist die Halle lichtdurchflutet und man blickt ins Grüne. Im ersten Obergeschoss befindet sich der Seminar- und Aufenthaltsraum, von dem man in die Produktionshalle herunter und auf den gegenüberliegenden „Gemüse-Marktplatz“ schauen kann. Dort werden Gurken, Rüben und Kohl auf die weitere Verarbeitung vorbereitet.
In der Vertikalen wird die Fabrik über die gläsern eingefasste Helix-Treppe erschlossen: So wird auch hier die Lebensmittelsicherheit eingehalten und jeder Berührungspunkt zwischen hygienischen und nicht hygienischen Bereichen vermieden. Die Vertikale hat eine besondere Bedeutung in der Senf-Abtei, denn hieran orientiert sich der gesamte Produktionsprozess. Dhooge und Meganck besuchten im Vorfeld häufig den früheren Camp’s-Standort in Ronse, dem Nachbarort von Oudenaarde. Sie setzten sich intensiv mit der Produktion und den Mitarbeitern auseinander und bemerkten, dass die bisherige Produktion horizontal angelegt war und viel gehoben und gepumpt werden musste. In der neuen Fabrik erledigt diese Arbeit nun die Schwerkraft: Die Senfkörner werden dafür im zweiten Obergeschoss im Senfturm gelagert. Von hier aus rieseln sie in die Mühlen und werden weiter mit Wasser, Essig, Honig und Gewürzen verfeinert. Die Silos sind das Herz des Gebäudes und im Gegensatz zur restlichen Fabrik in einem isolierten, stillen Raum untergebracht. Wie die Götterstatue in der Cella eines römischen Tempels stehen hier die zwei tiefroten Tanks. Das runde Fenster hinter ihnen, mit Blick in die Landschaft, verstärkt die kontemplative Wirkung. Tatsächlich ziehen sich hier hin und wieder die Mitarbeiter zurück – zur Zeit vor allem, um dem Essig in der Luftzu entfliehen, der auch mir inzwischen die Tränen über die Wangen laufen lässt. Es wird Zeit fürfrische Luft. Hinter dem Gebäude soll, wenn wieder etwas Budget vorhanden ist, ein offener Gemeinschaftsgarten für Gemüse angelegt werden. In Workshops und Seminaren kann dann jeder Besucher etwas über den Zauber von Senf und Eingelegtem lernen.
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