Bauwelt

Städtisches Museum



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Jan Kempenaers

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    Jan Kempenaers

Mit dem Erweiterungsbau katapultiert sich das Städtische Museum in neue Sphären. Das künstlerische Erbe Leuvens kann endlich fachgerecht konserviert und einem größeren Publikum präsentiert werden. Im Inneren wird die Stadt weitergewebt.  
Auf dem Bahnhofsvorplatz von Leuven (dt.: Löwen) steht seit 1925 ein heroisches Mahnmal, das an die 248 Opfer vom August 1914 erinnert, ermordet von deutschen Soldaten, die die Stadt besetzt hielten. Bei den Brandschatzungen wenige Tage später wurde die ehrwürdige, gut zwanzig Kilometer östlich von Brüssel gelegene Universitätsstadt schwer zerstört. Kaum hatte sie sich davon erholt, erfuhr ihr ein Gleiches im Zweiten Weltkrieg. Die Bondgenotenlaan, eine schnurgerade quirlige Magistrale, verbindet den Bahnhof mit der nach den Zerstörun­gen wiederhergestellten Altstadt, und die Türme des berühm­ten Rathauses bilden schon von weitem einen spannungsreichen point de vue.
Kurz bevor man auf das touristische Epizentrum, den Alten Markt mit Dom und Rathaus, trifft, kreuzt schräg die Vanderkelenstraat den Weg. Bürgermeister Leopold Vanderkelen und seine Frau Maria Mertens vermachten 1917 ihr Wohnhaus der Stadt mit der Maßgabe, darin ein Stadtmuseum zu etablieren. Für die umfangreiche, heute etwa 46.000 Objekte umfassende Sammlung wurde das ehemalige Herrenhaus trotz diverser Anbauten bald zu klein. Mit dem im vorigen Monat eingeweihten Erweiterungsbau hat sich die Ausstellungsfläche des Museums schlagartig auf 13.500 Quadratmeter vervier­facht. Die Neuerfindung des Hauses, in die die Kommune und die Provinz Flämisch-Brabant rund zwanzig Millionen Euro investiert haben, formuliert kraftvolle Aussagen über Leuvens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erstens ist dies ein Ort jahrhundertelanger Kunstproduktion von europäischem Rang; zweitens liegt im Schlagschatten Brüssels wirtschaftli­che Potenz; drittens will man im internationalen Museumsbetrieb deutlicher wahrgenommen werden.
 Vom Stadtmuseum zum Zimmer in der Stadt
Mehr Platz, mehr Präsenz, mehr Publikum – diese Ansprüche verknüpfen sich mit „M“, denn unter diesem Label wird das Museum Leuven nun vermarktet. Zum Glück ist man bei der Wahl des Architekten nicht den PR-Strategen gefolgt, denen ein Name aus dem internationalen Star-Zirkus vielleicht besser gepasst hätte. Stattdessen gewann das in Gent beheimatete Büro von Stéphane Beel 2004 den beschränkten Wettbewerb; Beel gehört noch immer zu den stillen Größen, obwohl seine sensiblen Museumsbauten seit langem über Belgien hinaus Beachtung finden (Heft 2.2000). „Zuerst war ich entsetzt“, erinnert sich die Konservatorin Veronique Vandekerchove an den Plan des Architekten, die Erweiterungsbauten aus der Zwischenkriegszeit abzureißen. Schließlich seien das die einzigen Räume gewesen, die man überhaupt für Ausstellungen habe nutzen können. Das unter Denkmalschutz stehende Vanderkelen-Wohnhaus war selbst mehr Exponat als Schauraum. Doch da die benachbarte Stadtbibliothek umzog und ein Gebäude hinterließ, das sich für Ausstellungen kaum eignete, bot sich die Gelegenheit, den gesamten Blockraum tiefgreifend um­zugestalten. Der Architekt nennt sein Konzept „ein Stadtzimmer mit Mobiliar“; damit sind die Baukörper gemeint, die um den Museumsgarten herum einen neuen, informellen öffentlichen Raum bilden: das nun frei gestellte Herrenhaus als institutioneller Nukleus, die östlich anschließende einstige Kunstakademie und dazu zwei Neubauten als Verbindungsstücke.
Der Portikus ist alles, was von der Stadtbibliothek, Baujahr 1937, geblieben ist. Stéphane Beel hat ihn als erhabenes Signet in das neue Ensemble collagiert, darauf anspielend, dass Museumsstandorte in Touristen-Stadtplänen zumeist mit einem Portikus-Logo markiert werden. Über so viel Plakativität könnte man die Nase rümpfen, wäre der dahinter entstandene Raum nicht so meisterhaft gelungen. Denn nach dem Durchschreiten der Säulenreihe finden sich die Besucher auf einem sanft abwärts zum eigentlichen Eingang hin geneigten Vorplatz wieder, der von dem weit auskragenden Obergeschossflügel überdacht wird. In diesem hervorragend proportionierten Zwischenraum sammeln sich fast intuitiv die Besuchergruppen, von hier aus können sie auf das Plateau hinaufsteigen oder weiter in den rückwärtigen Museumsgarten gelangen – all dies noch ohne Eintrittskarte. Der „osmotischen Wirkung dieses Ortes“ (Beel) kann man sich schwer entziehen, so niedrig ist seine Schwelle gehalten und so attraktiv sind die Durchblicke organisiert, die sich von der Straße aus bieten.
Wie ein Schwamm
Das Portal an der Savoyestraat, durch das man früher zum Haupteingang der Villa gelangte, blieb als Zugang erhalten, allerdings nur noch in den Museumsgarten, um die Durchquerung des Geländes zu ermöglichen; die Verwaltung im ehemaligen Akademiegebäude hat ihren eigenen Eingang, einen eigenen haben auch die Gastkünstler, die ihre Ateliers über die etwas heruntergekommene Sackgasse Hanengang erreichen, wobei sie, nolens volens, an einer Bierkneipe namens „The Seven Oaks“ vorbeikommen. So ist das vielgestaltige Museumsquartier nicht zuletzt dank seiner hierarchisch – und vor allem atmosphärisch – gegliederten Zugänge in seine Nachbarschaft eingebunden und strahlt in sie aus. Ein Schwamm hat schließlich auch keine Rückseite.
Mit der Freilegung der beiden alten und der passgenauen Einfügung der zwei neuen Gebäude entstand ein Geflecht vollkommen heterogener Raumangebote, das auf den ersten Blick verwirrt. Hier die parkettknarzenden Kabinette des 19. Jahrhunderts, dort die lichten ehemaligen Ateliers mit großzügigen Nordfenstern. Wie behält man angesichts derart unterschiedlicher Bauten die Orientierung? Die travertinverkleideten Passstücke leisten die Vertikalerschließung und vermitteln horizontal zwischen den verschiedenen Niveaus, was relativ viel Fläche raubt. Verglaste Brücken verbinden Alt- und Neubau, unterbinden jedoch auch das Raumkontinuum. Immer wieder können sich die Besucher durch gelenkte Ausblicke in den Museumsgarten den eigenen Standort vergegenwärtigen. Man bewegt sich im Inneren ähnlich wie in einer Stadt, der richtige Weg will gefunden werden, und wie könnte man sich besser orientieren als anhand der ausgestellten Kunstwerke?
Den Kuratoren ist diese Mischung unterschiedlicher Typologien höchst willkommen. Beels Konzept, der horizontale Schnitt durch die Zeiten, bietet ihnen die Möglichkeit, die Exponate mal im Kontrast, mal im Zusammenspiel mit der jeweiligen Architektur zu präsentieren, auch sind die Epochen nicht an bestimmte Bauteile gebunden. Die Flexibilität und die abschnittsweise Nutzung der Flächen spielen heute im Betrieb eines Museums eine immer größere Rolle. Drei Wechselausstellungen will das Museum Leuven künftig pro Jahr zeigen, und nicht alle werden solche Zugnummern sein wie die über Meister Rogier van der Weyden (bis 6. Dezember). Stéphane Beel versteht seine fast archäologische Ausbreitung von Räumen als eine Metapher für das Stadtgewebe, das mit Neugier und wachen Augen durchwandert sein will.



Fakten
Architekten Stéphane Beel Architecten, Gent
Adresse Vanderkelenstraat, 3000 Leuven, Belgium


aus Bauwelt 41.2009
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