56 Leonard Street in Tribeca, New York
Wiederholung? Gleichförmigkeit? Auf keinen Fall! Herzog & de Meuron wollten beweisen, dass auch die Vertikale Spielraum für Individualität bietet. Nur fünf der 146 Apartments in ihrem Turm sind gleich. Solche Einzelstücke haben ihren Preis, zumal in New York. Für durchschnittlich 35.000 Dollar ging der Quadratmeter in „56 Leonard Street“ über den Maklertresen
Text: Mees, Carolin, New York
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Herzog & de Meurons 253 Meter hoher Apartmentstapel steht an der Ecke Church/Leonard Street in Tribeca.
Foto: Iwan Baan
Herzog & de Meurons 253 Meter hoher Apartmentstapel steht an der Ecke Church/Leonard Street in Tribeca.
Foto: Iwan Baan
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Die Green Street und die Church Street entlang Richtung Südwesten geschaut.
Foto: Iwan Baan
Die Green Street und die Church Street entlang Richtung Südwesten geschaut.
Foto: Iwan Baan
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Die Architekten nennen Pierre Koenigs „Case Study House #22“ von 1959 als Inspiration. Die berühmten Aufnahmen, die Julius Shulman 1960 von dem Haus machte, waren wiederum – unverkennbar – Inspiration für unseren Fotografen.
Foto: Iwan Baan
Die Architekten nennen Pierre Koenigs „Case Study House #22“ von 1959 als Inspiration. Die berühmten Aufnahmen, die Julius Shulman 1960 von dem Haus machte, waren wiederum – unverkennbar – Inspiration für unseren Fotografen.
Foto: Iwan Baan
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Öffnungsflügel im Wolkenkratzer! In 56 Leonard Street wird die Außenseite der Fenster klassisch – von innen – geputzt. Die Konzertflügel-förmige Kücheninsel (Molteni/Dada) ...
Foto: Hufton + Crow
Öffnungsflügel im Wolkenkratzer! In 56 Leonard Street wird die Außenseite der Fenster klassisch – von innen – geputzt. Die Konzertflügel-förmige Kücheninsel (Molteni/Dada) ...
Foto: Hufton + Crow
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... sowie Badewanne und Waschtisch (Laufen) sind Entwürfe von Herzog & de Meuron. Das höchstgelegene Penthaus wurde im Juni für 47.866.945 Dollar verkauft.
Foto: Hufton + Crow
... sowie Badewanne und Waschtisch (Laufen) sind Entwürfe von Herzog & de Meuron. Das höchstgelegene Penthaus wurde im Juni für 47.866.945 Dollar verkauft.
Foto: Hufton + Crow
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Die von Herzog & de Meuron gestalteten Gemeinschafts- und Wellnessräume bilden den Abschluss der 27 Meter hohen Sockelzone.
Foto: Hufton + Crow
Die von Herzog & de Meuron gestalteten Gemeinschafts- und Wellnessräume bilden den Abschluss der 27 Meter hohen Sockelzone.
Foto: Hufton + Crow
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In den 226 Metern darüber stapeln sich, unterbrochen von zwei Technikgeschossen, die Apartments.
Foto: Hufton + Crow
In den 226 Metern darüber stapeln sich, unterbrochen von zwei Technikgeschossen, die Apartments.
Foto: Hufton + Crow
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2006 gab es in Manhattan 28 Luxuswohntürme, die höher als 200 Meter sind. Bis 2020 sollen es doppelt so viele sein. Weitgehend unbeeinträchtigt von der Wirtschaftskrise 2008, wächst die Einwohnerzahl auf der Insel seit Jahren – heute leben dort rund 8,5 Millionen Menschen – und entsprechend wächst der Wohnraumbedarf. Der Bauboom zielt in die Höhe und schafft statt Wohnraum für viele Investitionsmasse für das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Rekorde in Gebäudehöhe konkurrieren mit Rekordsummen für Eigentumswohnungen.
Vor allem in der sogenannten Billionairs’ Row in Midtown südlich vom Central Park ist in letz-ter Zeit viel passiert: 2014 eröffnete das 306 Meter hohe „One57“, entworfen von Christian de Portzamparc. Dieses Jahr wurde ein von Robert A.M. Stern geplantes Hochhaus am 220 Central Park South mit 290 Metern Höhe fertiggestellt und ein paar Blocks weiter östlich, an der 432 Park Avenue, ein 425 Meter hoher Wohnturm von Rafael Viñoly, wegen der rechteckigen Form und seines Schlankheitsgrads von 1:15 „Streichholz-Haus“ genannt. Ein Wohnturm an 111 West 57th Street von SHoP Architects soll 2018 bei Fertigstellung 426 Meter hoch und mit einem Verhältnis von Breite zu Höhe von 1:23 der weltweit schlankste Wolkenkratzer werden. Dafür wird der Nordstrom Tower von Adrian Smith + Gordon Gill höher und bei seiner Eröffnung 2019 mit 472 Meter das höchste Gebäude von New York City sein. Ebenfalls 2019 soll weiter südlich, an der 53. Straße neben dem Museum of Modern Art, Jean Nouvels 320 Meter hoher Wohnturm „53W53“ bezogen werden.
Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron sind Downtown mit dabei: 253 Meter hoch ist ihr Turm, bei einer Grundfläche von 1162 Quadratmetern beträgt der Schlankheitsgrad 1:10,5. Auf 57 Stockwerken gibt es 146 Eigentumswohnungen mit Wohnflächen zwischen 96 und 645 Quadratmetern. Die Verkaufspreise der Apartments lagen zwischen 3,5 Millionen und annähernd 50 Millionen Dollar. Das sind die höchsten Summen, die südlich der 14. Straße bisher gezahlt wurden. Das Gebäude steht zehn Blocks nördlich vom One World Trade Center und dem Financial District, an der Ecke Leonard Street und Church Street in Tribeca, zwischen zu Lofts umgewandelten alten Fabrikgebäuden und sechsgeschossigen Wohnbauten.
Im Jahr 2007 hatte der Projektentwickler Izak Senbahar mit seiner Firma Alexico Group für 150 Millionen Dollar das Eckgrundstück von der angrenzenden New York Law School gekauft und auch deren Luftrechte erworben, wodurch sich die zulässige Geschossfläche verdoppelte. Herzog & de Meuron erhielten den Auftrag, einen luxuriösen und auffallenden Wohnturm zu entwerfen. Der zügig begonnene Bau von „56 Leonard Street“ musste 2008 wegen der einsetzenden Wirtschaftskrise unterbrochen werden. 2012 konnte es weitergehen. Heute sind alle Wohnungen bis auf drei verkauft. Herzog & de Meuron hatten sich die Aufgabe gestellt, eine Alternative zur gängigen Hochhaus-Typologie zu entwickeln. Statt der oft unwirtschaftlichen, im Grundriss unflexiblen Bauweise, die eine monotone, anonyme Atmosphäre fördert, sollte ihr Wohnturm einen individuellen, privaten Charakter haben. Seine Gestalt sollte fragmentiert sein und Zufälligkeit ausdrücken.
Entstanden ist ein Turm, dessen Erscheinung mit der Möglichkeit provoziert, dass er wie das Spiel „Jenga“ aus aufeinandergestapelten, verschachtelten Bauklötzen besteht, die einstürzen könnten, aber so austariert sind, dass sie sich gegenseitig stabilisieren. Den Bauklötzen des Spiels entsprechen bei Herzog & de Meuron gegeneinander verschobene „Raumpakete“. Auf diese Weise verbanden die Architekten die klassischen drei Zonen eines Hochhauses – Sockel, Schaft und Krone – zu einem kohäsiven, in seinen Teilen aber unterschiedlichen Gebäude.
Eine bohnenförmige, hochglänzende Edelstahl- skulptur von Anish Kapoor, die an der Ecke Church/Leonard Street in das Erdgeschoss eingeklemmt ist, spiegelt die Passanten und den öffentlichen Raum. Die verglaste Lobby liegt unscheinbar daneben an der Leonard Street. Mit Rücksprüngen und unterschiedlichen Höhen reflektieren die sieben Geschosse des Sockels die Vielfalt von Gebäudetypen und Stockwerkhöhen in der Nachbarschaft. Den Abschluss des Sockels bilden die Gemeinschaftsräume. Die von Herzog & de Meuron entworfenen „Amenities“ bieten auf 1742 Quadratmetern in zwei Geschossen ein 23 Meter langes Schwimmbad mit abgerundeten Ecken zum Rundenschwimmen, eine Sauna, ein Dampfbad, einen Massageraum, ein Fitnessstudio, Umkleideräume, einen Kinderspielraum, eine Lounge mit Bibliothek und offenem Kamin, einen Konferenzsaal mit Küche sowie ein privates Kino.
Ab 27 Metern Höhe – dort beginnt der leicht konische Schaft – stapeln sich die verschieden großen Eigentumswohnungen. Die Geschosshöhe variiert zwischen 3,60 Meter in den unteren und fast 7 Meter in den oberen Etagen. Absicht der Architekten war es, dass die Wohnungen in der Art von Einfamilienhäusern individuell identifizierbar sind und mit einem besonderen Ausblick aus jedem Zimmer sowie über Balkone bzw. Terrassen eine Verbindung zur Stadt herstellen.
Als Inspiration diente zum einen Pierre Koenigs „Case Study House #22“ von 1959, mit auskragendem Wohnraum, weitem Dachüberstand und dramatischem Panorama über Los Angeles. Zum anderen berufen sich die Architekten auf den klassischen Typus des Erkerfensters. So ist eine im New Yorker Hochhausbau bisher einmalige Verbindung von Innen- und Außenraum entstanden. Die Anordnung der weit auskragenden Balkone, die in den darunterliegenden Wohnungen als Dachüberstand wahrgenommen werden, erzeugt selbst in den oberen Etagen des einzeln stehenden Turms ein Gefühl von Nachbarschaft und eine Ahnung von städtischer Dichte.
Die Krone von 56 Leonard Street bilden zehn Penthäuser. Acht davon belegen jeweils eine ganze Etage, zwei weitere teilen sich eine. Eine Zusammenlegung mehrerer Penthäuser zu Maisonetten bleibt eine Möglichkeit.Die Fassade ist rund um den Turm geschosshoch verglast. Verwendet wurde Glas mit geringem Eisengehalt, das weniger grünlich und dadurch transparenter ist als konventionelles Glas. Außen ist es verspiegelt. Entsprechend dem Konzept gestapelter Einfamilienhäuser wird die Fassade des Hochhauses, anders als üblich, nicht von außen gereinigt. Einzelne Fenster lassen sich zum Lüften kippen; die Gebäudereinigung kann sie weit öffnen, um von innen die Außenfassade zu putzen. Die Fenster sind so angeordnet, dass ein Kippfenster zwischen zwei festverglasten Bereichen liegt, sodass durch das geöffnete Fenster die angrenzenden Elemente je zur Hälfte gereinigt werden können. Der Rhythmus der Fassade ergab sich, wenn man so will, aus der Nutzung vom Innenraum heraus.
Eine weitere Besonderheit des Turms: die in fünf unterschiedlichen Dicken in situ betonierten Decken. Um eine möglichst glatte Oberfläche zu erreichen, wurden sie auf Plastikfolie gegossen. Die Falten, die beim Auslegen der Folie willkürlich entstanden, haben Furchen im Beton hinterlassen. Sie zeugen von handwerklicher Arbeit und brachten der Oberfläche bei den Bauarbeitern den Namen „Elefantenhaut“ ein. An den Rändern der Deckenschalungen wurde zudem ein abgerundetes Gummielement eingelegt, sodass sich konkave Außenkanten ergaben – ein sorgsam ausgearbeitetes Detail der Fassade.
Beim Blick aus der Ferne bleibt das Auge neben der unregelmäßig verschachtelten Form von 56 Leonard Street vor allem an den vielen Balkonen hängen. Die Vermarktungsagentur riet von Balkonen ab, da sie in New York nicht angenommen, als Stauraum genutzt und vermüllen würden. Doch die Architekten und der Developer setzten sich durch. Balkone gehen laut Baurecht nicht in die Berechnung der Geschossfläche ein, die in Manhattan seltenen privaten Außenräume bilden somit ein willkommenes Plus an verkäuflicher Fläche. Für die New Yorker Skyline können sonnenbadende, grillende oder gärtnernde Hochhausbewohner in jedem Fall nur eine Bereicherung sein.
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