Pavillon der American Academy in Berlin
Refugium für Fellows der American Academy
Text: Tempel, Christoph, Berlin
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Sieben Studienräume, Küche, WC – eine bodenständige Struktur, der das Dach Leichtigkeit gibt
Foto: Simon Menges
Sieben Studienräume, Küche, WC – eine bodenständige Struktur, der das Dach Leichtigkeit gibt
Foto: Simon Menges
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Die Dachform folgt einer regelmäßigen Geometrie, die aus zweidimensional zueinander versetzten und gedrehten Geraden vier hyperbolische Paraboloide erzeugt
Foto: Stefan Müller
Die Dachform folgt einer regelmäßigen Geometrie, die aus zweidimensional zueinander versetzten und gedrehten Geraden vier hyperbolische Paraboloide erzeugt
Foto: Stefan Müller
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Die Arbeitsräume sind untereinander getrennt durch Holzwände, vom Gang durch Glaswände, die mit Vorhängen verschlossen werden können.
Foto: Stefan Müller
Die Arbeitsräume sind untereinander getrennt durch Holzwände, vom Gang durch Glaswände, die mit Vorhängen verschlossen werden können.
Foto: Stefan Müller
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Ein großer Raum an der Stirnseite zum See öffnet sich auf die umlaufende Terrasse.
Foto: Simon Menges
Ein großer Raum an der Stirnseite zum See öffnet sich auf die umlaufende Terrasse.
Foto: Simon Menges
Regen hatte ich mir für die Besichtigung des Gartenpavillons gewünscht. Doch meinem Wunsch sollte nicht entsprochen werden. Das strahlende Morgenlicht lässt den Glasbau im parkartigen Umfeld der Wannseevilla am Sandwerder selbstverständlich gut aussehen und rückt seine Zweckhaftigkeit ins rechte Sonnenlicht. Aber wie stellt sich dieser flüchtige Schmetterling im Regen dar, wenn alles grau ist, der Boden feucht und das andere Ufer im Dunst verschwindet? Wenn die Situation nicht so „picturesque“ ist, wie auf den von den Architekten beauftragten Fotos. Frank Barkow fand das nebensächlich, beharrte aber beim angeführten Vorbild des Farnsworth Hauses von Mies darauf, dass diese Architekturikone der Moderne ständig vom angrenzenden Fox River überflutet werde. Er wollte meine aus dem kulturellen Gedächtnis gespeicherte, makellose Vorstellung nicht recht gelten lassen. Und ich die mir dargebotene Gartenidylle am Wannsee auch nicht.
Doch von Beginn an: Die American Academy Berlin fördert seit ihrer Gründung im Jahr 1994 auf vielfältige Weise den kulturellen und geistigen Austausch zwischen den Vereinigten Staaten und Berlin. Damals hatte der letzte amerikanische Soldat der Berlin Brigade die Stadt verlassen und die Gründer um den damaligen amerikanischen Botschafter in Deutschland Richard C. Holbrooke wollten das Erbe des Kalten Krieges auf eine andere Ebene heben: „Ideen statt Infanterie, Worte statt Waffen“, wie Josef Joffe, Zeit-Herausgeber und Trustee der Academy, es anlässlich des zwanzigsten Jubiläums rückblickend beschrieb. Im Einwerben nicht-staatlicher Finanzmittel ist die Academy offensichtlich äußerst erfolgreich, weshalb sie ein derart breites Stipendienprogramm anbieten kann, dass die in der als Hans Arnhold Center firmierenden Villa vorhandenen Arbeitsplätze nicht mehr für alle Fellows ausreichen.
Abhilfe schuf im letzten Herbst das der Institution verbundene, amerikanisch-deutsche Architekturbüro Barkow Leibinger mit ihrem strahlend weißen „Fellows Pavilion“. Material, Farbe und das angedeutete Schweben über dem Rasen erinnern an das schon erwähnte Farnsworth Haus, die seitlich aufgestellte Kolbe-Plastik „Verkündigung“ (1937) stellt einen anderen Mies-Bezug her: zum Barcelona Pavillon. Eine Äußerung von Sergius Ruegenberg, Bauleiter des Barcelona Pavillons im Jahr 1929, fällt mir beim Anblick der kleinen Dreiecksgiebel des Fellows Pavilion ein: „Unter den Mies’schen Dächern habe ich mich immer gedeckelt gefühlt.“ Den Architekten schien es ähnlich zu ergehen: „Im Laufe ihrer Karriere“, schreibt die amerikanische Architektur-Professorin Sarah Whiting, „haben Barkow Leibinger eine einzigartige Beziehung zur Decke aufgebaut: Die meisten ihrer Projekte nutzen diese unterschätzte Oberfläche als ein Experimentierfeld der Architektur und nicht nur als Ort der architektonischen Pflichterfüllung.“ Und genau so ist es hier am Wannsee: Die Architekten lösen den flachen oberen Raumabschluss vom Unterbau und versetzen ihn in Bewegung. Ein regelmäßiges Auf und Ab formt vier Giebel, die durch Glaswände mit dem Unterbau verbunden sind, Ein- und Durchblicke ermöglichen und dem Dach Leichtigkeit verleihen. Dabei folgt die Dachform einer regelmäßigen Geometrie, die aus zweidimensional zueinander versetzten und gedrehten Geraden vier hyperbolische Paraboloide erzeugt. Weil es offenbar eines lokalen Bezugs bedurfte, beschreibt der Erläuterungsbericht der Architekten das Dach als zugleich abstrakt „wie auch – zumindest in der Ansicht – spürbar verwandt mit den verschnittenen Walmdachformen der historischen Villa“. Diesen Bezug darf erkennen wer will.
Die Wirkung des Experimentierfelds Decke kommt vor allem bei den großen Bauten von Barkow Leibinger zum Tragen, etwa beim Trumpf-Kantinengebäude in Ditzingen. In großer Geste überspannt dort die aus unregelmäßigen Fünfecken bestehende Struktur den weiten Raum der Kantine. Beim nur 85 Quadratmeter großen Fellows Pavilion ist die Raumwirkung der Decke durch die Kleinteiligkeit des Innenausbaus getrübt. Küche und Toilette, sowie sieben Arbeitszellen benötigen viel Wandfläche um voneinander getrennt zu werden und ungestörtes Arbeiten zu garantieren. Die Trennwände zwischen den Zellen sind, wie der Holzboden, aus Eiche gefertigt, zum Gang und nach außen bilden Stahl und Glas transparente Abschlüsse. Blickdichte Vorhänge innen und semitransparente zum Garten sorgen für nötige Intimität. Sieben Quadratmeter, mit Arbeitstisch, Regalen und einem gepolsterten Stuhl stehen als „Cubical“ auch einem amerikanischen Angestellten im Großraumbüro zur Verfügung, von Luxus oder Sonderbehandlung der transatlantischen akademischen Elite kann keine Rede sein. Vor allem das im Übermaß vorhandene Tageslicht, die Schalldichte und die zumindest zur Seeseite spektakuläre Aussicht unterscheiden den Pavillon doch deutlich von einem Durchschnittsarbeitsplatz in Boston oder Chicago.
Die Berichte und Veröffentlichungen der Fellows zu ihrem Berlin-Aufenthalt handeln selten von ihrer Arbeitssituation. Sie handeln von der Gemeinschaft der Stipendiaten, von gemeinsamen Abendessen und Erkundungen im Haus und der Stadt. Das scheint der größte Luxus der Academy zu sein: das Aufgehobensein in der Gemeinschaft von Gelehrten, Schriftstellern, Dichtern, Regisseuren, Komponisten und Denkern.
Ein klassischer Pavillon, so die Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina, sei wie ein königliches Zelt, das flatternd von einem unbekannten Ort herkommt. „Ein reines, flüchtiges Bild, das für einen Moment in der Schwebe verweilt, landet, und dann ganz exponiert dasteht, bevor es wieder wegflattert und alles in seinem Sog verändert hinterlässt.“ Der Fellows Pavilion wird nicht wegfliegen und auch für rauschende Feste, wie man sie sich in einem Königszelt vorstellt, scheint er nicht ausgelegt. Die Nutzer ziehen größten Lustgewinn aus den hervorragenden Möglichkeiten, in ihm zu arbeiten. Vielleicht eine etwas puritanische Sicht auf einen Gartenpavillon.
Ich würde ihn trotzdem gerne einmal benutzen, selbst bei Sonnenschein.
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