Bauwelt

Youssef Tohme und die Villa M in Beirut


Youssef Tohme ist im Libanon verwurzelt. Im Bauboom, den Beirut zurzeit erlebt, heben sich seine Bauten für private Bauherren ab. Er versteht sie als Teil der städtischen oder ländlichen Topografie


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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    Der Block „hängt“ am Felsen und soll über eine Passerelle zu erreichen sein. Wegen der deutlich gestiegenen Kosten für die Verankerung wurden die Bauarbeiten bis auf Weiteres eingestellt.
    Foto: Andrea Zamboni

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    Der Block „hängt“ am Felsen und soll über eine Passerelle zu erreichen sein. Wegen der deutlich gestiegenen Kosten für die Verankerung wurden die Bauarbeiten bis auf Weiteres eingestellt.

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    Die Bauherrin der Villa M hatte den Wunsch, das Gebäude solle über dem Tal von Kornet Chehouane „schweben“. Die große Wohnhalle soll eine raumhohe Verglasung erhalten.
    Foto: Andrea Zamboni

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    Die Bauherrin der Villa M hatte den Wunsch, das Gebäude solle über dem Tal von Kornet Chehouane „schweben“. Die große Wohnhalle soll eine raumhohe Verglasung erhalten.

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    Im Wohn- und Schlafbereich unterhalb der Halle blickt man von mehreren Ebenen aus ins Tal hinunter. Im
    Hintergrund öffnet sich die seitlich angrenzende Freizone mit Schwimmbad.
    Foto: Andrea Zamboni

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    Im Wohn- und Schlafbereich unterhalb der Halle blickt man von mehreren Ebenen aus ins Tal hinunter. Im
    Hintergrund öffnet sich die seitlich angrenzende Freizone mit Schwimmbad.

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    Youssef Tohme in Akoura
    Foto: Sebastian Redecke

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    Youssef Tohme in Akoura

    Foto: Sebastian Redecke

Anfang Dezember 2014. Youssef Tohme erzählt mir bei der Fahrt durch die Stadt von seinem Leben. Es muss eine schöne frühe Kindheit gewesen sein. Beirut war bis in die siebziger Jahre ein wirtschaftlich und kulturell pulsierender Mittelpunkt des Nahen Ostens. Doch die Situation änderte sich abrupt. Über Beirut und Teile des Landes kam 1975 der Fluch eines Bürgerkriegs, der fünfzehn Jahre dauern sollte. Ich merke, dass ihm das damals Erlebte heute noch sehr nahe geht. Das Grauen und die Furcht haben Spuren hinterlassen. Er berichtet nur kurz von einem Panzer im Garten der Eltern, der Flucht, dem Leben in einer Garage und den unberechenbaren Kontrollposten auf den Straßen. 2006, er lebte bereits in Paris, verheiratet mit einer Französin, war er bei den Angriffen der israelischen Luftwaffe auf die Teile der Stadt, die von der schiitischen Hisbollah-Miliz geprägt waren, und auf die Landebahnen des Flughafens, gerade im Libanon. Mit ihrem kleinen Kind wurden sie mit dem Hubschrauberträger Mistral evakuiert, der vor Beirut lag. Tohme lacht kurz, als er sich daran erinnert, dass sein Kind meinte, noch immer in der Stadt zu sein, weil der Raum im Schiffsrumpf so gigantisch groß war.
Tohmes Biografie zu kennen ist wichtig, um den Architekten und sein Werk besser zu verstehen. Aus seinen Lebenserfahrungen heraus entwickelte er nicht nur ein großes Engagement, sondern eine Leidenschaft, eine wahre Passion für das Bauen. Dazu fügen sich Natürlichkeit, Offenheit und Direktheit, die ihn als Menschen prägen, seit ihm in der Not das Elementare des Lebens bewusst wurde, die Bedeutung von Freundschaften und Solidarität.
Diese Erfahrungen gemacht zu haben, ist ihm sehr wichtig. Vielleicht ist die Situation ein wenig vergleichbar mit der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland, als Studienanfänger ihr Glück nicht fassen konnten, nun ohne Zwang Wissen aufsaugen zu können, wovon sie lange Zeit nur träumen konnten. Youssef Tohme zeigt große Freude und Dankbarkeit dafür, zu denen zu gehören, die nach der humanitären Katastrophe die Chance für einen neuen Anfang bekamen.
Die Architekturausbildung begann er in Beirut, kurz darauf wechselte er an die Ecole von Paris-Villemin. Nach mehreren Jahren in Pariser Architekturbüros – im Büro Arep war er an Planungen für die Umgestaltung des Gare d’Austerlitz beteiligt, bei Jean Nouvel betreute er das Hochhausprojekt „The Landmark“ für Beirut und war zuletzt Projektleiter des Louvre Abu Dhabi – kehrte er nach Beirut zurück und gründete 2008 mit Roger Akoury und Anastasia Elrouss sein eigenes Architekturbüro. Es scheint ihn heute nichts mehr zu schrecken. Um die Gefahren, denen er und seine Familie ausgesetzt sind, weiß er. Aber nach allem, was er im Bürgerkrieg schon erlebt hat, sorgt er sich nicht, schöpft aus dem Vollen. 2014 erschien sein Buch „intensive Beyrouth“.
Politik? Die Erläuterungen zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, deren räumlicher Zuordnung in der Region Beirut, verweben sich zu einem komplizierten Geflecht in einem fragilen Staatsgebilde, mit scheinbar willkürlichen politischen Konstellationen aus konfessionellen Gruppierungen und Großfamilien-Clans, das unentwirrbar scheint. Die internen Spannungen im Land werden heute zusätzlich durch die neuen Flüchtlingsströme überlagert. Der kleine Libanon mit 6 Millionen Einwohnern hat 1,2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die Lage ist dramatisch, kaum zu bewältigen. Viele von ihnen sind nicht in den Zeltlagern hinter den Bergen angekommen, sondern in Beirut und suchen hier Arbeit. Der Libanon war immer ein Land für Schutzsuchende und Einwanderer, darunter viele Armenier und Palästinenser.
Wir passieren „Beirut Souks“. Der alte traditionelle Souk in der Stadtmitte musste einem luxuriösen Einkaufszentrum, entworfen von Rafael Moneo, weichen, das nun mit einer Shoppingbox von Zaha Hadid ergänzt werden soll. Ich bin erstaunt über die immense Bautätigkeit in der Stadt. Dort, wo Platz ist, entstehen Wohntürme der Luxuskategorie. Fast fertig ist der riesige, zum Teil abgetreppte Hochhauskomplex „3Beirut“ von Norman Foster. Ganz in der Nähe steht ein Turm mit viel Glas von Herzog & de Meuron, der mit dem Namen „Beirut Terraces“ vermarktet wird. Dazwischen ragt noch immer der Turm des Holiday Inn Beirut empor, der während des Bürgerkriegs schwer beschädigt wurde. Leider sind zahlreiche Bauten aus der französischen Zeit, vor der Unabhängigkeit 1943, verschwunden. An der Corniche mit der Avenue de Paris, entlang der Bucht von Beirut, entstehen weitere Türme. Das Hotel Carlton der späten sechziger Jahre gibt es nicht mehr.
Nach den Zerstörungen des Bürgerkriegs nahm die private Planungsgesellschaft Solidere (Société libanaise pour le développement et la reconstruction) sämtliche Planungen im Herzen der Stadt in der Hand. Man entschied sich, abzureißen. Das führte zu Protesten, weil viele der Bauten, die die Seele der Stadt einst ausmachten, schon nicht mehr vorhanden sind. Auch die Bebauung am Märtyrerplatz wurde nach den Zerstörungen des Bürgerkriegs nicht wieder errichtet. Man bewilligte damals einen Masterplan mit breitangelegten Spekulationsgeschäften (Stadtbauwelt 36.1993) – eine Stadtplanung mit großen repräsentativen Gesten. Vieles ist noch nicht gebaut. Wir fahren an einem Büro- und Geschäftsbaus von Arata Isozaki vorbei, der nicht fertig werden will, und weiter zur neuen großen Moschee. Dazwischen entsteht zurzeit ein von dem französischen Architekten Marc Barani entworfenes Memorial für Rafic Hariri. Hariri, Chef der Solidere, wurde 2005, als er das Amt des libanesischen Ministerpräsidenten ausübte, ermordet.
Endlich erreichen wir die Katholische Universität Sankt Joseph von Beirut. Mit diesem Gebäudekomplex, den wir bis in den letzten Winkel besichtigen, ist Tohme innerhalb kürzester Zeit auch außerhalb des Libanons bekannt geworden (Bauwelt 29.2012). Die Universität liegt im eher christlich geprägten Teil Beiruts. Andere Quartiere der Stadt, vor allem weiter südlich, werde ich nicht zu Gesicht bekommen.
Nach dem Besuch der Universität sind wir auf einer breiten Autopiste, am Hafen entlang, Richtung Norden unterwegs. Rechts und links präsentiert sich hier jeder wie er will, mit seinem Showroom, Shop oder Firmensitz, und nutzt dazu bei Dunkelheit wahllos Leuchtreklame, oft grell blinkend, ein. Der Blick auf das Wasser ist längst zugebaut. Wir verlassen die Schnellstraße und fahren hoch auf einen der Hügel der Stadt, vorbei an zahlreichen, scheinbar willkürlich hingesetzten Wohnblocks. Sie zeugen von einem wilden, die bewaldete Landschaft zerstörenden, gestalterischen Liberalismus. Viele der Bauten haben ein traditionelles Kleid mit Bögen und Ziegeldach erhalten.
Im Beiruter Vorort Kornet Chehouane erreichen wir die Villa T (Beitrag Seite 24). Von Weitem erinnert sie ein wenig an frühe Werke von Rem Koolhaas. Später erfahre ich von Youssef Tohme, dass ihn besonders begeistert, wie Rem Koolhaas aber auch Peter Zumthor an eine Entwurfsaufgabe herangehen. Er kennt Koolhaas aus Bordeaux, wo beide zurzeit an Großprojekten arbeiten. Koolhaas hatte schon 1998, mit der berühmten Villa „Maison à Bordeaux“, die ersten Kontakte dorthin. Jetzt soll mit dem Bau seiner breiten Multifunktions-Brücke Jean-Jacques-Bosc über die Garonne begonnen werden. Tohme gewann in Bordeaux den Wettbewerb für das Gesamtkonzept eines 60 Hektar großen, in einen Landschaftsraum eingebundenen Stadtquartiers auf dem ehemaligen Industriegebiet „Brazza Nord“.
Villa M
Wir sind weiter auf den kurvigen Straßen am Hang von Kornet Chehouane unterwegs. Als es schon leicht dämmerig wird, erreichen wir die Baustelle, die uns Tohme unbedingt zeigen wollte. Es handelt sich um die Villa M. Die ziemlich spezielle Bauherrin, sie besitzt Hunderte von Schildkröten, wollte partout ein „Schwebendes Haus“. So hängt das kompakte Gebäude regelrecht am steilen Felsen unterhalb der Straße. Die soll einmal vierspurig ausgebaut werden, weswegen eine Wand das Haus von der Straße abschirmt. Der hängende Block soll später über einen Steg zu erreichen sein. Eine seitliche Rampe in den zurückgesetzten Sockel des Hauses wird der Zufahrt mit dem Auto vorbehalten sein. Der Rohbau ist so gut wie fertig, doch die Verankerung im Felsen stellte sich weitaus komplizierter dar, als erwartet. Die Kosten stiegen dramatisch, der Bau wurde gestoppt. Der Kran ist demontiert. Wie es nun weiterginge? Der Architekt ist zuversichtlich.
Um dem Wunsch der Bauherrin, das Haus möge schweben, stärker nachzukommen – im Haus bekommt man nicht überall mit, dass man nahezu frei am Felsen hängt – , entwarf Tohme einen schmalen, auskragenden Betonsteg, der sich von der gebäudehoch verglasten Wohnhalle aus weit über das Tal hinausschiebt. Die teilweise hängende Gerüstkonstruktion für die Schalung war hoch kompliziert.
Innen ist der Bau als weitgehend offener Grundriss gedacht. Zahlreiche Treppenläufe verbinden verschiedene Ebenen, die auch in die seitlichen Außenbereiche führen, mit der zentralen, alles zusammenfassenden Wohnhalle. Ein weiterer Wohnraum befindet sich im untersten Geschoss. Hier ist die äußere Wand zum Tal stark geneigt und mit verschiedenen Fensteröffnungen versehen: ein Raum von besonderem Reiz; beim Blick durch die Fenster meint man, jeglichen Halt verloren zu haben. In den Räumen im Sockel des Rohbaus haben sich syrische Flüchtlinge, soweit es geht, wohnlich eingerichtet. Sie waren Arbeiter auf der Baustelle und wissen nach dem Baustopp nicht, wohin.
Luxus? Ja, Youssef Tohme baut Wohnhäuser für libanesische Privatkunden, denen es sehr gut geht. Er kennt die Familien und ist mit ihnen vielleicht befreundet oder sogar geschäftlich verbunden. Ich stelle dazu keine Fragen.



Fakten
Architekten Youssef Tohme Architects, Beirut
Adresse Beirut, Libanon


aus Bauwelt 15.2015
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