Wohnungsbau
Am Krautgarten
Text: Hötzl, Manuela, Wien
In einem heterogenen Umfeld in der Donauvorstadt konzipierten Caramel Architekten mit kleinem Budget und großem Einsatz einen gemeinnützigen Wohnungsbau, der dank individueller Grundrisse und Freiflächen jedem Sozialbau-Klischee entgeht.
Die Architekturgeschichte Wiens ist eng mit seiner erfolgreichen kommunalen Wohnbaupolitik verbunden. Die aktuelle Lage des geförderten, sozialen Wohnbaus ist aber eher prekär. Einschneidende Kürzungen der Förderungen stehen dem Wachstum der Bevölkerung gegenüber und lassen auf baldige Erhöhung der Grundstücks- und Mietpreise schließen. Doch momentan ist Stillstand angesagt.
Noch 2010 flossen 600 Millionen Euro Fördermittel in den sozialen Wohnbau, rund 7000 geförderte Neubauwohnungen wurden gebaut, was knapp 90 Prozent des Bauvolumens ausmachte. Doch auch an Wien ging die Finanz- und Immobilienkrise nicht spurlos vorüber. Überraschenderweise wurden aber erst Ende 2010 mit der neuen Stadtregierung, die das einst „rote Wien“ zu einem „rot-grünen“ machte, die Fördermittel für den sozialen Wohnbau drastisch, nämlich um 90 Millionen Euro, gekürzt. Die Bauproduktion ging zurück, Projekte wurden kurzfristig gestoppt. Und das zu einem Zeitpunkt, da sich Wien in derselben Situation wie zu Beginn des „Roten Wiens“ befindet und sich neuerlich der Zwei-Millionen-Einwohner-Grenze nähert.
Um 1920 waren die Grundrisse mit drei Wohnungstypen relativ standardisiert. Über die Jahrzehnte wurden, trotz des engen Budgets im geförderten Wohnbau, immer unterschiedliche Typologien als Markenzeichen der Wiener Stadtentwicklung und des Wiener Wohnbaus verwirklicht. Ganz nebenbei wurde die die Stadt mit 250.000 Wohnungen größter Haus- und Wohnungseigentümer der Welt, jede vierte Wohnung ist im Besitz der Stadt. In dem umfassenden Programm, zu dem in den 1990er Jahren die Bauträgerwettbewerbe hinzukamen, schuf man eine dichte Bauqualität, die europaweit wohl einzigartig ist.
Nun steigt der Wohnbedarf wieder: Herbert Ludl, Generaldirektor der Sozialbau AG, einer der größten gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaftsverbandes, berichtete in der jährlichen Pressekonferenz im Juli, dass die Anmeldungen für Wohnungen im Durchschnitt um ein Drittel gestiegen seien. Für das Projekt „Eurogate“ auf den Aspanggründen, wo Europas größte Passivhaus-Siedlung entsteht, lagen 9000 Anmeldungen für 170 Wohnungen vor. Auf die erhöhte Nachfrage versucht die Stadt der im März präsentierten „Wiener Wohnbauoffensive“ zu reagieren. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und Vizebürgermeisterin Renate Brauner initiierten einen „Call“ für private Konsortien aus Finanzdienstleistern, um einen neuen Weg der Finanzierung einzuschlagen. Ergebnisse liegen noch keine vor, es wird noch verhandelt. Die Bauträger warten ab und lassen viele Projekte in der Warteschleife. Einige Stimmen rufen bereits in Erinnerung, dass der geförderte Wohnbau nicht nur die Qualität angehoben, sondern auch die Marktpreise sowohl für Grundstücke als auch für Wohnungen niedrig gehalten habe. Das politisch getragene „Finanz-Ökosystem“ scheint jetzt zu kippen.
Von diesen Entwicklungen noch nicht betroffen, vielmehr eines der letzten erfrischenden Vorzeigebeispiele, ist das Wohnhaus am Krautgarten vom Wiener Büro Caramel. Ein typisches Beispiel dafür, wie mit wenigen Mitteln große Qualität schaffen werden kann. Für die Architekten war es der erste Wohnbau, und mit entsprechenden Ehrgeiz gingen sie an das Projekt heran. Besonderes Lob zollt Martin Haller, Partner und Projektleiter, dem Bauherrn, der alle Entscheidungen der Architekten mitgetragen hat.
Im Grunde ein ganz normaler sozialer Wohnbau für geförderte Mietwohnungen, hatten die Architekten den Anspruch, lauter kleine Einfamilienhäuser zu gestalten, mit individuellen Grundrissen und möglichst hoher Grünraumnutzung. Das mit 1250 Quadratmetern relativ kleine Grundstück liegt über der Donau im Westen von Wien. Die Gegend ist gut erschlossen, Reihen- und Gartenhäuser bestimmen die Bebauung. Dieser Heterogenität der Umgebung wollten die Architekten nichts entgegensetzen. Das Wohnhaus interpretiert sie vielmehr funktional und formal und bildet die unterschiedlichen Wohnungsgrößen und Individualität der Grundrisse nach außen ab. Caramel bezeichnen die Erscheinung des Baus als „animalisch“, ein Bild, welches die gelbgrüne leuchtende grobkörnigen Putzfassade durchaus unterstreicht: ein Laubfrosch im Grünen. Die unregelmäßig angeordneten Fensteröffnungen, Loggien und Balkone ergeben sich aus der Ineinanderschachtelung der großteils als Maisonettes konzipierten 17 Wohneinheiten. Die Individualität der Wohnungen – kein Grundriss gleicht dem anderen – sollte an der Fassade ablesbar sein, aber wesentlicher ist die Qualität, die jede Wohnung mit dem Ausblick und dem Grünraumzugang bekommt. Die Hälfte der Wohnungen hat einen eigenen Garten, der Rest Balkone, Terrassen oder Loggien. Die Wohnungsgrößen liegen zwischen 58 und 107 Quadratmetern.
Die Freiräume wurden einheitlich gestaltet, eher selten für einen sozialen Wohnbau. Durch die Erfüllung der Klima-aktiv-Kriterien, die zum Beispiel ein Niedrigenergiehaus, Gemeinschaftsflächen, überdachte Fahrradabstellplätze und einen Kinderspielplatz vorschreiben, kommen kaum Rest- oder Erschließungsflächen zustande. Von den Schotterflächen, der gemeinsamen Terrasse, den Sitzbänken bis zu den mit Krautblättern bedruckten Pflanzentrögen ist ein System entstanden, das Intimität und Ausblick im gleichen Maße gewährleistet.
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