Bauwelt

Cité du Vin

In exponierter Lage von Bordeaux eröffnete in Frühjahr die „Cité du Vin“. Wie die Architekten zu ihrer Entwurfsidee gelangten, lässt sich nur vermuten. Warum braucht die altehrwürdige Stadt des exzellenten Weins diese kommerziell orientierte Bespaßung? Warum reicht es nicht mehr, die wunderbaren Weingüter in der Region zu besuchen?

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    Mit der Gestalt der „Cité du Vin“ in Bordeaux soll man alles Mögliche assoziieren. Viele Bewohner sind entsetzt.
    Foto: © Cité du Vin

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    Mit der Gestalt der „Cité du Vin“ in Bordeaux soll man alles Mögliche assoziieren. Viele Bewohner sind entsetzt.

    Foto: © Cité du Vin

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    Abb.: XTU Architects

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    Abb.: XTU Architects

Cité du Vin

In exponierter Lage von Bordeaux eröffnete in Frühjahr die „Cité du Vin“. Wie die Architekten zu ihrer Entwurfsidee gelangten, lässt sich nur vermuten. Warum braucht die altehrwürdige Stadt des exzellenten Weins diese kommerziell orientierte Bespaßung? Warum reicht es nicht mehr, die wunderbaren Weingüter in der Region zu besuchen?

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Vor der Bearbeitung des Wettbewerbsentwurfs muss es sich wohl so zugetragen haben: Das Pariser Architektenduo Anouk Legendre und Nicolas Desmazières, die sich XTU nennen, erreichen Bordeaux und sind begeistert. Bei herrlichem Sommerwetter schlendern sie von der Place de la Bourse im Herzen der Stadt an der Garonne entlang nach Norden und erfreuen sich der weiten Ausblicke. Die Architekten wollen sich das Wettbewerbsgrundstück für die von der Stadt und der Region geplante „Cité du Vin“ anschauen. Dort angekommen, befällt sie eine gewisse Müdigkeit, denn vom Zentrum sind sie schon ein Stück bis hierher gelaufen, und es war sehr heiß. Die Erschöpfung hat aber auch einen anderen Grund. Entlang der Uferpromenade stehen einige ehemalige Lagerhallen, die in den letzten Jahren für Shops, Gastronomie und Bars umgenutzt wurden. Sie sind gut besucht und die Stimmung entsprechend gelöst. Es ist zu vermuten, dass Anouk und Nicolas ihre Kenntnisse der Feinheiten des Weingebiets Bordeaux, vom Médoc im Norden bis zum St. Emilion und Pomerol im Süden, hier noch vertieft haben, vielleicht mit einer Flasche Château Belgrave Grand cru classé oder sogar Château La Tour Figeac, alles exzellente Produkte von großer Tradition, die in Begleitung eines Chèvre und etwas Baguette einen absoluten Genuss darstellen.
Anouk und Nicolas müssen dies damals sehr genossen haben. So erklärt sich auch die äußerst freudige Stimmung in der sie, trotz aller Müdigkeit, den geplanten Standort für das „Zentrum des Weines“ erreichen. In diesem Zustand muss ihnen dann ganz spontan die Entwurfsidee eingefallen sein: Organisch, oder besser wulstig sich in die Höhe windend, mit skurri­­lem Abschluss, alles unangenehm hässlich und voll bepackt mit alberner Symbolik. Die Architekten sehen das Gebäude als einen überdimensiona­len goldbräunlichen Rebstock, der sich an seiner Spitze auflöst, um als offene Struktur spannungsvoll seiner „zentralen Bedeutung“ für die Region gerecht zu werden. Die geschwungenen gläsernen Verkleidungselemente sollen außerdem an ein gefülltes Weinglas denken lassen, aber auch – alles fließt – an die Garonne, auf die man hoch oben von der Plattform des „Rebstocks“ schauen kann. Es wäre eine böse Unterstellung zu behaupten, dass auch die Jury vor oder während der Sitzung allzu sehr dem Wein zugesprochen habe. Aber sie muss wohl von der schönen Argumentation der Architekten mit ihren Auslassungen voller Symbolik so beeindruckt gewesen sein, dass sie ihnen den ersten Preis zuerkannte.
Das hier skizzierte Szenario ist völlig frei erfunden. Mir ist nicht bekannt, was sich damals in Bordeaux abgespielt hat. Ich wollte nur den Versuch unternehmen zu verstehen, wie sich die Architekten einen solchen Entwurf ausdenken konnten und warum ihr Entwurf der beste war.
Vor wenigen Wochen eröffnete Staatspräsident François Hollande die Cité du Vin. Was drinnen, für 20 Euro Eintritt inklusive Dégustation im Belvedere, zu sehen ist, ist eigentlich noch schlimmer, als der Entwurf vermuten lässt: Ein interaktiver Themenpark zur Entdeckung der Weinkultur mit Verkauf. Bis zu einer halben Million Besucher werden im Jahr erwartet, vor allem Reisegruppen aus China, Japan, den USA und England. Es werden jede Menge Erlebnisse geboten, auf einer Entdeckungsreise von der „Wurzel“ des „Rebstocks“, tief unten im dicken Gebäudeband, hinauf zu einer nahezu fensterlosen künstlichen Wein-Welt, in der die Kulturregion Bordeaux gebührend gefeiert wird. Man kann dabei auch in einen „Classical“ und einen „Multisensory Tasting Room“ für Weinprofis schauen. Die runden Formen der Rippen-Tragkonstruktion aus Holz, die innen sehr präsent ist, sollen an alte Frachtschiffe erinnern und damit an die Geschichte des Weinexports in alle Welt. Ihm ist ein Ausstellungsteil gewidmet. Die hellen Rippenwände sollen, so die Architekten, aber auch den Himmel über den Winzergebieten darstellen. Da der Bau eine gewisse Höhe erreichen musste, um von weitem gesehen zu werden, setzte man noch ein paar Geschosse mehr auf den Turm und fügte Büros ein. Sie stehen leer.
Warum braucht Bordeaux eine solche kommerziell orientierte Bespaßung in exponierter Lage an der Garonne? Warum reicht es nicht mehr, den Gästen der Stadt wie bisher eine Fahrt zu den wunderbaren Weingütern der Region anzubieten? Michèle Laruë-Charlus, die engagierte Baudezernentin von Bordeaux, mit ihrer in Frankreich beachteten Großplanung der Stadterweiterung und der Architekturbiennale „Agora“, hat für diese Peinlichkeit, unter dem Einfluss einiger mächtiger Winzerfamilien und ihrer Marketingstrategen, wohl beide Augen ganz fest zudrücken müssen.
Fakten
Architekten XTU Architects, Paris
Adresse 134 - 150 Quai de Bacalan, 33300 Bordeaux, Frankreich


aus Bauwelt 30.2016
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