Kuma im Kreisverkehr
Ceramic Cloud
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Kuma im Kreisverkehr
Ceramic Cloud
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Zum Abschluss der diesjährigen Keramikfliesen-Weltmesse Cersaie in Bologna hielt der Präsident des italienischen Verbandes der Fliesenindustrie eine Überraschung parat. Er präsentierte im neuen Kreisverkehr in der Nähe seines Unternehmens Casalgrande Padana die Ceramic Cloud, das erste Werk von Kengo Kuma in Italien – aus Fliesen.
Die etwa 12.000 Einwohner zählende Ortschaft Casalgrande liegt in der Emilia Romagna. Trotz der vielen Fabrik- und Lagerhallen herrscht in dieser Region noch immer das Ländliche vor: alte, zum Teil verlassene Gehöfte mit Gärten, Acker- und Weideflächen. Die nächstgelegene Stadt ist Sassuolo, das Herz der italienischen Keramikfliesen-Industrie. Von hier nach Casalgrande geht es über eine neue, noch nicht ganz vollendete Schnellstraße, die auf einen blitzblanken Kreisverkehr zuführt, um den ab nächstem Frühjahr täglich bis zu 700 Lastwagen kurven werden, die Rohmaterialien zur Produktion heran- und fertige Fliesen abtransportieren. Die Gegend ist also reich, und einer der Großen der Fliesenproduktion ist das Unternehmen Casalgrande Padana, das in diesem Jahr sein fünfzigstes Firmenjubiläum feiert.
120 x 60 cm
Den Kreisverkehr hat sich der Bürgermeister ausgedacht. Da sich die Ortschaft am westlichen Ende der Keramikregion befindet, kam Franco Manfredini, dem Firmenchef von Casalgrande Padana, zum Jubiläum die Idee, der Gemeinde hier auf dem 2820 Quadratmeter großen Rund ein Zeichen als Entree in die Region zu schenken. Der japanische Architekt Kengo Kuma, der das Leichte, das fragil Wirkende liebt, wurde als Entwerfer ausgewählt. Ein Jahr zuvor hatte man ihn als Festredner für eine Großveranstaltung der Fliesenindustrie im Palazzo Vecchio von Florenz gewonnen. Der 56-Jährige griff nach den zurzeit beliebten großformatigen Feinsteinzeugplatten mit einer Breite von 1,20 Metern und entwarf in Zusammenarbeit mit den Architekturschulen von Ferrara und Catania eine „kunstvolle Architektur“, die durch ihre Vielgestalt, die sich bei der Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln ergibt, Aufsehen erregt. Kommt man von Osten und Westen, ist das Werk „Casalgrande Ceramic Cloud“, kurz „CCCWall“, zunächst nur als Strich in der Landschaft auszumachen. Von Süden, dort, wo sich die Zufahrt des Unternehmens befindet, zeigt es sich in seiner ganzer Breite. Auf der Nordseite fehlt der Anschluss. Dort steht hinter einer Böschung ein verlassener Bauernhof. Die weißen Keramikplatten bilden mit Hilfe von aufrechten, in Beton gesetzten Gewindestäben die Konstruktion. Die Wand von Casalgrande hatte im Frühjahr auf der Mailänder Fuorisaloni eine erste „Vorstellung“. Im hinteren Hof der alten Universität, die als Ausstellungsort für die Messe zur Verfügung stand, präsentierte Kuma sein Konzept: einen wallenden Schleier, der diagonal den Hof durchzieht und – exakt in der Länge des späteren Werks – zwei unterschiedlich mit weißen Steinen und Fliesen gestaltete Gärten voneinander trennt. Bei Dunkelheit bekam der angestrahlte Schleier mit der Projektion der späteren Gestalt etwas Surreales. Kumas Konzept ist nicht neu; seine Art, aus offenen und geschlossenen Flächen ein feingliedriges Muster zu gestalten, kennt man schon von seinem Lotushaus von 2005, den Bauten im Bahnhofsumfeld von Takanezawa (Bauwelt 21.2007), dem Eingang der Firmenzentrale von Asahi 2008 oder den aktuellen Projekten seines Pariser Büros für Besançon (Bauwelt 28.2007) und Marseille. Er erzielt aber in Casalgrande mit den Fliesen nicht die gleiche Wirkung, da er keinen Filter, keine Hülle vor einem Gebäude entworfen hat, sondern trotz der geringen Tiefe mit verschiedenen Winkeln eine sich graduell variierende Raumstruktur zeigt. Den Orten der Kontemplation verhaftet, fasziniert Kuma das Experimentelle im kleinen Rahmen. Vom traditionellen japanischen Teehaus inspiriert, hat er neben seinen Großprojekten, die von geringerer Bedeutung sind, einige Pavillonideen entwickelt, u.a. den Kunststoff-Bubble von 2007 im Park des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst und die Casa Umbrella auf der Mailänder Triennale 2008.
Aterballetto
Am 2. Oktober wurde in Casalgrande das erste Werk vom Maestro Kuma in Italien eingeweiht. Seine 45 Meter lange und 5,90 Meter hohe Wand steht in einem Bett mit groben Steinen aus Carrara-Marmor, das das gesamte Rund abdeckt, in der Sonne grell blendet und an eine artifizielle Strandatmosphäre denken lässt. Bei der Wand ergibt sich ein reiches Spiel aus Licht und Schatten. Die Oberfläche der hellen Fliesen verändert sich durch äußere Einflüsse ständig, dies ist das eigentliche Thema. Kuma geht noch weiter: sein Werk spräche nicht für sich allein, sondern wolle zur Wahrnehmung der Umgebung beitragen, die natürlichen Einflüsse von Wind und Wetter erlebbar machen. Am Unterbau der Installation wurde in einer Mulde im Kiesbett ein Wasserbassin angelegt, in dem schon in der ersten Nacht ein Anwohner aus rätselhaften Motiven sechs Fische schwimmen ließ. Sie waren am nächsten Morgen tot. Kleine Teleskop-Lampen sind im Kies zu entdecken. Am Abend werden sie hochgefahren, und es entsteht durch die „Laternen“ über dem Marmor ein kleines, sehr subtiles Lichtermeer, gestaltet vom Lichtkünstler Mario Nanni, der selbstbewusst feststellt, dass das Licht zum Protagonisten des „Szenario“ wird. Bei der Einweihung stand für die Animation zusätzlich zum Licht eine Tanzgruppe vom Aterballetto aus der nahen Stadt Reggio Emilia im Wasser.
La Nuvola
Warum heißt das Werk „Ceramic Cloud“? Die Bewohner der traditionsbewussten Region verstehen es nicht. Cloud bleibt für sie rätselhaft. Es wäre gut gewesen, wenn man hier statt der üblichen englischsprachigen Verfremdung, die Weltläufigkeit suggeriert, mit der viel schöneren italienischen „Nuvola“ einen Bezug hergestellt hätte. Aber welche Wolke ist bei dem Werk eigentlich gemeint? Kumas Œuvre wird Schule machen, denn ampelfreie Kreisverkehre sind schon seit geraumer Zeit auch bei Gemeinden in Deutschland begehrt. Sie bieten Raum für eine Präsentation mit 360-Grad-Betrachtung, bei der das von wem auch immer beauftragte Werk des Architekten sogar zusätzlich sich selbst drehen könnte. Kein Maestro sollte es sich entgehen lassen, in diesen Kreis aufgenommen zu werden.
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