Make New History
Die zweite Architekturbiennale in Chicago wendet den Blick zurück. In Zeiten der digitalen Bilderflut soll die Architektur sich auf ihre Wurzeln besinnen und daraus Kraft für Neues schöpfen. Was ein provokanter Ansatz sein könnte, gerät in Trumps Amerika zur apolitischen Nabelschau.
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Make New History
Die zweite Architekturbiennale in Chicago wendet den Blick zurück. In Zeiten der digitalen Bilderflut soll die Architektur sich auf ihre Wurzeln besinnen und daraus Kraft für Neues schöpfen. Was ein provokanter Ansatz sein könnte, gerät in Trumps Amerika zur apolitischen Nabelschau.
Text: Kleilein, Doris, Berlin
„Chicago ist so wichtig für uns, weil wir modern sind“ – mit diesem Satz kommentierten Lacaton Vassal ihre Einladung zur ersten Chicagoer Architekturbiennale vor zwei Jahren. Sie waren vorher noch nie dort gewesen, trugen aber den Miesʼschen Kanon im Kopf. Auch ich bin mit diesem Gepäck Ende September am Flughafen OʼHare gelandet, um herauszufinden, was es mit der nunmehr zweiten Ausgabe der Biennale auf sich hat, die seit Monaten mit Primärfarben und dem Slogan „Make New History“ für sich wirbt.
Neue Geschichte machen – eine amerikanische Architekturbiennale unter diesem Motto verspricht Widersprüchliches, aber in jedem Fall Politisches. Doch wer in Chicago 2017 eine Positionierung gegenüber Trumps Kahlschlagpolitik oder eine Auseinandersetzung mit Fragen wie Segregation oder Klimaschutz erhofft, liegt leider daneben. Unter Geschichte verstehen die Kuratoren Sharon Johnston und Mark Lee: Architekturgeschichte. Und auch dazu äußern sie sich irritierend ahistorisch: „Wir leben in unsicheren Zeiten, in denen sich die Menschen nach etwas Vertrautem sehnen, einem Anker“, so die Kuratoren gegenüber der Bauwelt. Geht es also um die Rückkehr zu Handwerk und Tradition? Ist der „Architekt ein Maurer, der Latein gelernt hat“? Das Kuratorenpaar aus LA zitiert Adolf Loos, distanziert sich vom Historismus ebenso wie von der Postmoderne und der „Informationsflut der Gegenwart“ und sieht Geschichte als „einen offenen Horizont, mit vielen Ein- und Ausgängen.“ Und so wird auf dieser Biennale an vielen Stellen in der Architekturgeschichte gefischt, ohne dass sich eine Haltung ergibt.
Wo die Kuratoren ihren Anker geworfen haben, verriet bereits im Vorfeld der Blick auf die Teilnehmerliste: Unter den 140 Büros, deren Arbeiten in Chicago ausgestellt werden, finden sich zu zwei Dritteln Europäer, und unter diesen vor allem Belgier, Schweizer, Deutsche, Engländer, Portugiesen. Und so trifft man in Chicago die alten Bekannten aus Venedig im neuen Setting: Aber muss man nach Chicago fliegen, um Arbeiten von Aires Mateus, Jürgen Mayer H. und Christ & Gantenbein zu sehen?
Das Setting selbst ist allerdings völlig anders als in Venedig: Die Hauptausstellung der Biennale findet weder auf einem Weltausstellungsgelände noch in rohen Hallen statt, sondern im neoklassizistischen Monsterbau des Chicago Cultural Centre. Mit seinen Tiffany-Glaskuppeln und opulenten Treppenhäusern besetzt das Kulturzentrum einen ganzen Block in Downtown: 1897 wurde es als Empfangsgebäude des Bürgermeisters für Präsidenten und Könige erbaut, dann als Stadtbibliothek genutzt, ab 1977 als Kulturzentrum. Dieser Standort verleiht der Biennale etwas Staatstragendes und, trotz der zentralen Lage, Unerreichbares.
Rückkehr zum Analogen
Bei meinem Besuch, eine Woche nach der Eröffnung, ist das Haus voll. Touristen und Passanten schauen mal eben kurz rein, sicher auch, weil der Eintritt frei ist und Gehrys Konzertmuschel gegenüber liegt. Was sie dort sehen, dürfte sie allerdings in vielen Fällen ratlos zurücklassen: Selten war eine Biennale, die das große Publikum erreichen will, so sehr auf sich bezogen. Architektur wird in Chicago vor allem mit Modellen, 1:1-Installationen und Zeichnungen dargestellt, gefolgt von Fotos. Digitale Medien sind kaum vertreten, dafür Buntstiftskizzen und Aquarelle in ordentlichen Bilderrahmen. Dass das Analoge dominiert, muss an sich nicht schlecht sein: Im besten Fall gelingen augenzwinkernde Installationen wie die von Caruso St. John, Thomas Demand und Hélène Binet – eine Assemblage aus Modellen und Fotos, bei der nichts ist, was es scheint: Was wie Stoff aussieht, ist Papier, was man als Gebäudeentwurf kennt, wird zum losgelösten Monument. Doch das Bild, das die Profession von sich zeichnet, erscheint elitär, im besten Fall naiv. Architekten, so der Eindruck, sind eine Spezies, die in schönen Ateliers ästhetische Objekte produziert: Mit der Stadt da draußen vor den großen Fenstern hat das wenig zu tun.
Überkuratiert?
Besonders deutlich wird dies in den beiden Haupträumen, den aufwendigen Modellschlachten „Vertical City“ und „Horizontal City“. Bereits die Grundidee erscheint wenig brisant: Für die vertikale Stadt wurden 16 internationale Büros gebeten, den Chicago Tribune Tower, das neo-gotische, 1922 aus einem Wettbewerb hervorgegangene Wahrzeichen der Stadt, neu zu interpretieren. Damals hatten 263 Büros ihre Entwürfe eingereicht; 1980 hatte der Chicagoer Architekt Stanley Tigermann dann als erste Nachlese die „late entries“ des Wettbewerbs ausgestellt. Jetzt folgt also der dritte Aufguss. Vorgabe: Baue ein fünf Meter hohes Modell eines Büroturms, massiv, freistehend, nur ein Material ist erlaubt. Kein Kontext, kein Programm, eine rein formale Fingerübung, als hätte sich weder die Arbeits- noch die Medienwelt seit damals verändert (und eine Stadt wie Chicago keine anderen Probleme). Das Ergebnis ist eine instagram-taugliche, aber nichtssagende Kollektion von Vertikalen, von der gedrechselten Holzsäule (6a architects) über die tiefblaue Tonne mit Voids (Francis Keré) bis zum geisterhaften Lochfassadenturm (MOS) – lediglich die Mexikanerin Tatjana Bilbao nahm sich die Freiheit, und forderte wiederum 15 befreundete Büros auf, an ihrer Collage gestapelter Architekturentwürfe mitzuwirken.
Bei der horizontalen Stadt, dem kuratorischen Gegenpart, wird der beziehungslose Umgang mit der Geschichte noch deutlicher: Für diesen Raum wurden 24 weitere Büros gebeten, sich ein Foto oder eine Zeichnung eines Innenraums zu wählen und daraus Innenraummodelle zu bauen, die dann nach dem Grundriss des IIT-Campus im Raum angeordnet – warum in aller Welt muss Mies van der Rohe dazu herhalten, den „Städtebau“ dieser horizontalen Modellstadt zu liefern? Man mag es für eine der kollektiven Beschäftigungstherapien des Architekturausstellungsbetriebs halten oder schlicht für einen Fall von gutgemeinter Überkuratierung: Doch wer auf der Suche danach ist, was Architektur der Gesellschaft geben kann, sollte diese Räume rasch durchqueren.
Fündig wurde man eher auf den dunklen Fluren und Seitengalerien, von denen das Gebäude viele hat: von David Schalliols Fotos zum Abriss der Chicagoer Sozialwohnungsbauten über die hinter tropischen Samtvorhängen versteckten Bauten des kolumbianischen Büros AGENdA bis zur Videoinstallation über den Skanderberg-Platz in Tirana von 51N4E, einem der wenigen Beiträge, der die Gestaltung eines öffentlichen Raums und seine politische Bedeutung für die Stadt vermitteln konnte. Und, wie bei vielen internationalen Ausstellungsmarathons, sind die „site events“ besser als das Hauptmenü: Vor allem der Besuch in der South Side bringt dem Biennale-Besucher die Stadt näher, etwa bei einem Abstecher ins „Roundhouse“, einer bislang ungenutzten Reithalle der Chicagoer Hochhausarchitekten Burnham & Root aus dem Jahr 1881, die das DuSable Museum of African American History gemeinsam mit dem Pariser Palais du Tokyo bespielt. Dort konnte man dann auch etwas erfahren über die Orte illegaler Migranten oder die Architektur in weniger privilegierten Teilen der Stadt.
Auf der Suche nach einem Profil
Chicagos Bürgermeister Rahm Emanuel, der die Biennale 2015 mit ins Leben gerufen hat, positionierte sich erst kürzlich mit einem scharfen Statement, indem er Chicago zur „Trump-freien Zone“ erklärte. Warum ist diese Biennale dann so distanziert und selbstreferentiell ausgefallen, warum schielt man nach Europa anstatt sich dem Mauerbau an der eigenen Staatsgrenze zu widmen? Vielleicht braucht es eine dritte Runde, um der Biennale ein Profil zu geben, eines, das nicht nur dem architektonischen Erbe Chicagos, sondern auch den drängenden gesellschaftlichen Fragen gerecht wird. „Make New History“ jedenfalls war davon weit entfernt.
0 Kommentare