Bauwelt

„Wie kann man keine Arbeit haben, wenn es so viel in der Stadt zu tun gibt?“ 

Interview mit Artéria

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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„Wie kann man keine Arbeit haben, wenn es so viel in der Stadt zu tun gibt?“ 

Interview mit Artéria

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Nicht auf den großen Auftrag warten, sondern vor der Haustür anfangen: Diese Aufgabe hat sich das Architekturbüro Artéria angesichts der verfallenen Lissabonner Altstadt gestellt. Mit einem Budget von 60.000 Euro haben sie ein Wohnhaus zum Nachbarschaftshaus umgebaut – und die Webseite www.agulhanumpalheiro.pt konzipiert, auf der alle verfügbaren Häuser der Altstadt kartiert werden. Ihr Ziel: Die Mittelschicht aus den Vorstädten ins Zentrum holen.
„Agulha num palheiro“, eine Nadel im Heuhaufen – woher kommt der Name der Webseite?
Lucinda Correia | Das Projekt handelt von den Schwierigkeiten, die sich einer Privatperson stellen, ein kleines Haus im Stadtzentrum zu kaufen und zu sanieren – und davon, wie man sie überwindet. Wir nennen diese Leute die neuen Revitalisierer. Es sind keine Immobilienmakler, keine Leute, die im Geld schwimmen. Als Architektinnen versuchen wir immer wieder, für diese Klientel die „Nadel im Heuhaufen“ zu finden.
Warum ist das so schwierig?
Ana Jara | An die 2000 Häuser stehen leer, unzählige rotten vor sich hin. Die jetzigen Eigentümer haben kein Bewusstsein für den Wert der alten Stadt. Es gibt die Mentalität, Häuser lieber verfallen zu lassen, als sie zu verkaufen. Und die Eigentümer sagen, sie könnten mit den geringen Mieten sowieso nichts an den Häusern machen.
LC | Hinzu kommt, dass die Banken den Gebäudewert gar nicht richtig bestimmen können. Oft nehmen sie nur 30 Prozent des wirklichen Werts an, die Hypotheken sind folglich zu niedrig und die Finanzierung kommt nicht zustande.
Was unterscheidet Ihre Webseite von der eines Maklers?
AJ | Makler können über den konkreten Erhaltungszustand dieser Gebäude eigentlich nichts sagen. So leicht sie über die hübsch hergerichteten Objekte die üblichen Maklersprüche machen können, so wenig können sie über diese alten Gebäude sprechen und auch keine schönen Bilder zeigen.
Und was bekommt man bei Ihnen?
LC | Die Idee ist es, alle alten Häuser zusammen aufzulisten und einheitlich darzustellen. Diese Häuser sind etwas Besonderes, und man muss sie auch anders präsentieren. Wir suchen derzeit nach Partnern unter den Immobilienfirmen, in der Regel sind das lokale Büros, die ihr Quartier und die Bewohner kennen. So kommen wir an Häuser, die große Firmen gar nicht an­bieten.
Wo positionieren Sie sich: Kunstprojekt, Sanierungsberatungsstelle oder nicht doch Makler?
LC | Uns geht es nicht um Häuser, die bereits renoviert sind, oder um Neubauten. Wir wollen, dass Leute, bevor sie ein Haus kaufen, ein Dienstleistungspaket bekommen, eine ordentliche Datengrundlage für die Entscheidung.
AJ | Wir wollen den Rückkehrprozess in die Stadt unterstützen. Um Lissabon herum ist eine Ansammlung von Satellitenstädten entstanden, die die Namen von kleinen Dörfern tragen. Diese Satelliten sind Ergebnisse einer Politik des Nicht-Investierens in die Innenstadt. In den letzten Jahren sind die Preise für Häuser in den Vororten um bis zu einem Drittel gefallen. Es wird Zeit, dass die Leute erkennen: Es ist besser, ein kleines Haus in der Stadt zu haben als ein großes Haus in der Peripherie.
Übernehmen Sie mit Ihrer Initiative nicht eine Aufgabe der Kommunalpolitik?
LC | Ja, das sollte eine öffentliche Angelegenheit sein. Lissabon hat seit den 80ern viele Einwohner verloren. Und jeder Tourist fragt, warum die Altstadt in diesem Zustand ist. Aber der Wandel in der Stadtverwaltung vollzieht sich schleppend. Unsere Generation muss den Wandel der Planungskultur aktiv mitgestalten.
Waren Architekten und Stadtplaner denn an den Protesten gegen die EU-Sparpolitik beteiligt?
AJ | Die Architekten sind nicht richtig organisiert, sie sind unabhängige Einzelkämpfer. Wir tanzen da aus der Reihe. Es ist schwierig, Kollektive zusammenzubringen.
LC | Unsere Generation will nicht immer alles analysieren und kritisieren. Wir tun einfach unsere Arbeit. Und wie kann man keine Arbeit haben, wenn so viel in der Stadt zu tun ist? Öffentliche Wettbewerbe gibt es nicht mehr, und wenn, dann wir würden sie auch nicht gewinnen, weil wir keinen großen Apparat haben. Wir spezialisieren uns auf das Renovieren.
Fakten
Architekten Artéria, Lissabon
aus Bauwelt 44.2013
Artikel als pdf

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