Nicht infantil, sondern jung
Weltweit findet man in Gebäuden die Technik der Firma Jung. Die Gründervilla in Schalkmühle wird nun um ein Begegnungszentrum erweitert. Teilnehmen durften nur Büros, deren Gründung nicht länger als sechs Jahre zurück liegt.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Nicht infantil, sondern jung
Weltweit findet man in Gebäuden die Technik der Firma Jung. Die Gründervilla in Schalkmühle wird nun um ein Begegnungszentrum erweitert. Teilnehmen durften nur Büros, deren Gründung nicht länger als sechs Jahre zurück liegt.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Nicht älter als sechs Jahre: Das ist nicht nur die ungefähre Grenze des Schuleintrittsalters für Kinder in Deutschland, sondern war die Bedingung an die Architekturbüros für die Wettbewerbsteilnahme rund um den Umbau und die Erweiterung der Gründervilla der Firma Jung. Der Firmenname war im Wettbewerb Programm. Nicht infantile, sondern frische und neue Ideen wurden gesucht – für einen Ort, der eher einer noblen 89 Jahre alten Dame gleicht. 1928 wurde die Gründervilla im 10.500 Einwohner großen Schalkmühle erbaut, ein anschauliches Städtchen im Sauerland. Hier gründete Albrecht Jung 1912 das bis heute familiengeführte Unternehmen, das durch seine Elektroinstallationstechnik bekannt ist. Die Villa thront oberhalb der ehemaligen Fabrik an einem Hang. Noch heute befindet sich in dem Ort neben der Verwaltung, das Entwicklungszentrum, der Werkzeugbau, die Steckdosenproduktion, die Metallverarbeitung, der Vertrieb und das Schulungszentrum der Firma. Gemeinsam mit dem Zweigwerk in Lünen beschäftigt Jung circa 1200 Mitarbeiter. Die dreigeschossige Villa, die seit 2015 leer steht und bis zuletzt als Wohnsitz der Familie fungierte, soll nun zum identitätsstiftenden Anlaufpunkt werden. Um einen Anbau erweitert, soll auf rund 500 Quadratmetern ein Begegnungs- und Kommunikationszentrum entstehen. Die „Denkfabrik“ soll zur Entwicklung, Konstruktion und Präsentation von Produkten und neuen Serien dienen.
Unter den 33 eingereichten Arbeiten entschiedsich die Jury unter dem Vorsitz von Michael Schumacher für einen 1. Preis, zwei 2. Preise und zwei Ankäufe. Die Gewinner nga Nehse & Gerstein Architekten aus Hannover gehen behutsam mit der Villa um. Sie wird von sämtlichen Anbauten befreit und der Neubau wird ins Gelände eingepasst. Die Architekten schlagen einen flachen, transparenten Körper vor, dessen Dach ebenerdig mit dem Erdgeschoss der Villa abschließt und als Terrasse dient. Dessen Lastabtrag erfolgt über drei eingestellte Kerne im Inneren des Neubaus. Sie definieren den offenen Grundriss. Der freie Raum und der weite Blick ins Tal, ermöglicht über eine dreiseitig umlaufende Glasfassade, macht den Neubau auch für Veranstaltungen attraktiv. Konferenz- und Büroräume werden in der Villa untergebracht. Die Abbildungen zeigen einen zurückhaltenden Umgang mit Materialien: Sichtbeton, Glas und polierter Bodenbelag. Die Jury lobte, dass „der Verfasser versucht den Ort in seiner Ganzheit zu stärken“.
Feyyaz Berber und Timo Steinmann aus Köln (ein 2. Preis) schlagen einen Ein-Raum-Pavillon vor, der durch seine überwölbte Kappendecke besticht. Er ist allseitig verglast. Die Jury merkt die „detailreiche Stimmung“ an, die durch textilen Sonnenschutz, Holzfenster und Eichenparkett erzeugt wird und „formal eigenständig“ ist. Diese „Radikalität“ beurteilt die Jury positiv. Der Rundgang wird in die Gründervilla verlegt. Eine besondere Qualität hat der Zwischenraum von Pavillon und Villa, der sehr schmal und von Süden belichtet ist.
Ein weiterer 2. Preis ging an die Architekten von Yonder aus Stuttgart. Sie spielen mit dem Gegensatz Alt und Jung – Gründervilla und Neubau. Den Pavillon stellen sie parallel neben die Villa und halten die Durchwegung zum Garten frei. Die verspielte Grundform wird durch seine fächerartig gefaltete Fassade unterstrichen. Der Neubau ist eine Interpretation des Grundrisses der Villa, dessen abgerundete Erkerräume in Proportion und Größe kopiert und gespiegelt werden: ein selbstbewusster Beitrag.
Es kommt in der deutschen Wettbewerbslandschaft selten vor, dass ausdrücklich junge Architekturbüros adressiert werden, doch die drei Entwürfe zeigen, dass es keine Angst vor ihnen geben sollte.
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