Alte Reithalle in Aarau
Unter dem gewaltigen, hölzernen Dachstuhl einer Reithalle, wo einst Soldaten ihre Pferde trainierten, ist eine Bühne für Theater, klassische Musik und zeitgenössischen Zirkus entstanden.
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
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Die Reithalle ist Teil des Kasernenareals von Aargau, das umgenutzt wird.
Foto: Luca Zanier
Die Reithalle ist Teil des Kasernenareals von Aargau, das umgenutzt wird.
Foto: Luca Zanier
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Die Mauern sind fast unverändert geblieben. Das Dach erfuhr eine Aufdopplung mit Kupferblech.
Foto: Jirì Makovec
Die Mauern sind fast unverändert geblieben. Das Dach erfuhr eine Aufdopplung mit Kupferblech.
Foto: Jirì Makovec
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Der Saal ist 22 Meter breit und 80 Meter lang. Von außen wirkt der Bau unspektakulär. Innen ist man von der eindrucksvollen Dachkonstruktion überrascht. Die neue Nutzung war lange umstritten.
Foto: Luca Zanier
Der Saal ist 22 Meter breit und 80 Meter lang. Von außen wirkt der Bau unspektakulär. Innen ist man von der eindrucksvollen Dachkonstruktion überrascht. Die neue Nutzung war lange umstritten.
Foto: Luca Zanier
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Die Halle verfügt nach den Umbauten über 10 Eingänge für eine größtmögliche Flexibilität.
Foto: Luca Zanier
Die Halle verfügt nach den Umbauten über 10 Eingänge für eine größtmögliche Flexibilität.
Foto: Luca Zanier
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An den Seiten ist der Boden umlaufend hochgeklappt und erinnert an den früheren Anreitschutz, der Pferde von der Wand ferngehalten hat. Darunter sind Lüftungsauslässe.
Foto: Luca Zanier
An den Seiten ist der Boden umlaufend hochgeklappt und erinnert an den früheren Anreitschutz, der Pferde von der Wand ferngehalten hat. Darunter sind Lüftungsauslässe.
Foto: Luca Zanier
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Im Inneren der Einbauten öffnet sich eine Welt aus schwarzem Beton, ...
Foto: Luca Zanier
Im Inneren der Einbauten öffnet sich eine Welt aus schwarzem Beton, ...
Foto: Luca Zanier
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... Glasbausteinen und glänzend metallischen Oberflächen.
Foto: Luca Zanier
... Glasbausteinen und glänzend metallischen Oberflächen.
Foto: Luca Zanier
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Im mittleren Teil ist durch schwere Vorhänge ein mobiles Foyer abgetrennt, das die Halle in zwei Zonen unterteilt: eine für das kleine Theater, eine für den Musiksaal mit Orchesterbühne.
Foto: Luca Zanier
Im mittleren Teil ist durch schwere Vorhänge ein mobiles Foyer abgetrennt, das die Halle in zwei Zonen unterteilt: eine für das kleine Theater, eine für den Musiksaal mit Orchesterbühne.
Foto: Luca Zanier
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Um die Tiefe nutzen zu können, ist auch eine Zuschauertribüne möglich.
Foto: Luca Zanier
Um die Tiefe nutzen zu können, ist auch eine Zuschauertribüne möglich.
Foto: Luca Zanier
Mitten in Aarau, einer Stadt mit gut 20.000 Einwohnern, eine halbe Zugstunde von Zürich entfernt, befindet sich der ehemalige Militärbau. Der einzige Raum, 22 Meter breit und 80 Meter lang, ist überspannt von einem historischen Sprengwerk und eingefasst von alten, von der Zeit gezeichneten Mauern.
Dank dem Beitrag des Ateliers Barão-Hutter im offenen Wettbewerb von 2012, ist der Raum weitgehend frei geblieben. Nur durch schwere Vorhänge ist im mittleren Teil ein mobiles Foyer abgetrennt, das die Halle in zwei Zonen unterteilt: Eine für das Theater, eine für das Orchester. An beiden Stirnseiten steht ein Betonkubus mit Nebenräumen. Das Raumprogramm hätte eigentlich zwei Bühnenräume gefordert, die akustisch so voneinander abgetrennt sind, dass zwei Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden können. Die jungen Architekten, damals frisch vom Studium, haben dieses radikal in Frage gestellt.
Die Idee zeichnete sich schon bei der ersten Begehung ab. „Von außen wirkte das Haus auf uns kleiner, fast unspektakulär.“ Erst von innen entfaltet das freispannende Dach seine Wirkung. Die Idee, die Halle möglichst freizuspielen, entsprang einer architektonischen und atmosphärischen Absicht: „Wir konnten uns nicht vorstellen, diese Leere zu verstellen.“, erklärt Architekt Peter Hutter. „Vielleicht war es Naivität, vielleicht aber auch schlicht das technische Unvermögen, in diesen Dachstuhl eine schalldichte Wand einzubauen.“ Diese Grundidee, die in den zehn Jahren, die zwischen dem Wettbewerb und der Eröffnung im letzten Oktober vergangen sind, wurde immer wieder in Frage gestellt, hat sich am Ende aber als richtig erwiesen
Am Anfang des Projekts im Jahr 2006 stand ein Nutzungswettbewerb um eine zentrale Theaterbühne im Kanton Aargau mit 200 Plätzen. Die Stadt Aarau, die sich mit einem Konzept in der ehemalig militärischen Reithalle beworben hatte, erhielt den Zuschlag. Der Prozess war von vielen personellen Wechseln in der Politik und auf Bauherrenseite geprägt. Außerdem wurden die Bürger und Bürgerinnen in die Entwicklung mit einbezogen. Zu der ursprünglichen Nutzung als Theater kam eine weitere hinzu, die mit massiv höheren Ansprüchen an Akustik einherging: die eines Konzertsaals für klassische Musik. In diesem Zusammenhang diskutierten Akustiker immer wieder die Idee eines Box-in-Box Konzepts. Bei einem Probekonzert des Orchesters Argovia Philharmonics hat sich aber die Akustik in der Halle, so wie sie war, als sehr gut herausgestellt. Sie konnte mit nur wenigen, gezielten Eingriffen optimiert werden.
Ab 2013 wurde die Halle als Theater zwischengenutzt und das Konzept eines einzigen Bühnenraums auf die Probe gestellt. Die vielen Aufführungen, insbesondere die Performances des zeitgenössischen Zirkus‘, die sich außerhalb von bekannten, klassischen Formen bewegten und sehr stark mit dem Raum interagiert haben, zeigten, welche Möglichkeiten die Halle bot. „Es waren die Künstler und Künstlerinnen, die diesen Militärbau, der durch seine Funktion maximal privat, abgeschottet und versteckt sein musste, in einen öffentlichen Publikumsbau verwandelt haben“, sagt Architekt Hutter. Auch in der Stadt war man begeistert. 2016 wurde die öffentliche Finanzierung des Umbaus per Volksabstimmung mit 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
Am Ende der langen Vorlaufzeit, nach vielen neuen und wieder verworfenen Ideen, hatte sich herauskristallisiert, was die Halle wirklich brauchte: eine Fläche und zwei Körper. Einen klassischen Theaterabend, wo man von einem gemütlichen Stoffsessel auf eine Guckkastenbühne schaut, darf man im Neuen Theater in der Alten Reithalle nicht erwarten. Die Besucherinnen und Besucher sollen herausgefordert werden, mit ihren Ritualen zu brechen.
Dieses Theater ist anders, angefangen bei den Eingängen, denn davon gibt es zehn. Die Architekten vergleichen diese Idee mit der Bahnhofshalle in Zürich: „Diese leere Halle ist eigentlich auch eine Bühne. Von überall kommen und gehen die Menschen.“ Daran, dass der Eingang ins Theater jeden Tag an einem anderen Ort ist, müssten sich die Leute aber erst gewöhnen. Für die neuen Eingänge wurden die bestehenden Fensteröffnungen bis auf Bodenniveau vergrößert. Auch die Signaletik muss mobil sein. Nach dem Eintreten steht man direkt auf der Bühne. Denn die Bühne füllt den ganzen Raum. Die „2000 Quadratmeter, die keinen Unterschied machen zwischen Gast und Schauspieler, zwischen dem, der zahlt und dem, der nicht bezahlt, der zuschaut und der darstellt“, sind für Hutter die Essenz des Umbaus. Es gibt keine Trennung zwischen Publikum und Bühne, alle sind im gleichen Raum, stehen auf dem selben Boden.
Für den Einbau mussten hunderte Kubikmeter weicher Untergrund abgetragen und durch eine Ortbetonplatte ersetzt werden. Der Bühnenboden ist aus amerikanischem Schwarzkieferholz gefertigt und stellte eine handwerklich anspruchsvolle Aufgabe dar. Darunter verborgen verläuft ein Netzwerk aus Kabeln, die fast jeden beliebigen Punkt der Halle mit Strom versorgen.
An der Seite ist der Boden hochgeklappt und formt einen umlaufenden Täfer entlang der Außenwand. Dieser erinnert an den früheren Anreitschutz, der Pferde von der Wand ferngehalten hat. Darunter befinden sich Lüftungsauslässe. In einem Abstand von zwei Metern zur Wand kann eine weitere Schicht des Bodens hochgeklappt werden, um mit der Außenwand eine Gasse aufzuspannen und Menschenströme zu lenken. Die textilen Raumteiler, die man anfangs vor allem aus atmosphärischen Gründen gewählt hatte, wurden auch zum akustischen Werkzeug. Die Stofflagen wirken schallabsorbierend, durch sie wird der Raum stimmbar. Je nach Orchestergröße werden sie näher oder weiter weg von den Musikern platziert. Auch das Foyer selbst lässt sich in seiner Größe an die Publikumsmasse anpassen. Die Außenmauer aus Jurakalkstein ist fast unverändert geblieben, nur größere Löcher wurden ausgebessert. Die fleckige Oberfläche bleibt, verblichene Buchstaben der früheren Reitanordnung sind noch sichtbar. Die alten Fenster sind ertüchtigt, nicht überstrichen. An ihren Außenseiten sind feuerverzinkte Läden angebracht, die einerseits Schallschutz, andererseits Verdunkelung ermöglichen.
Auch der Dachstuhl ist sehr gut erhalten, seine Funktion ist allerdings neu. Die Bühnentechnik, sprich Lautsprecher und Scheinwerfer, ist an vier durchlaufenden Schwerlastschienen an der historischen Dachkonstruktion aufgehängt. Die klimatische Abschirmung, Wind- und Schneelasten nimmt das neue Überdach auf, das auf der bestehenden Außenmauer steht. Von außen ist die Aufdopplung des Dachs in Form eines 70 Zentimeter hohen Kupferblechs über der erhaltenen Traufe sichtbar.
In den zwei Betoneinbauten an den Stirnseiten befinden sich Garderoben, Toiletten, Solisten- und Regiezimmer. Wenn das Orchester spielt, ist der Kubus hinter der Bühne der Backstage-Bereich, die Gäste benutzen die Toilette auf der gegenüberliegenden Hallenseite. Bei einer Theateraufführung umgekehrt. In diesen Einbauten öffnet sich eine Welt aus schwarzem Beton, Glasbausteinen und glänzend metallischen Oberflächen. An den Wänden im Gang hängen kleine Spiegel. Zuschauer, die sich in der Pause frisch machen, werden hier zum Ereignis.
Die Tribünen sind verschiebbare Blöcke. Überhaupt sind alle Elemente fahrbar. Die Leere fordert heraus, nicht nur die Besucher, auch diejenigen, die den Raum bespielen. Aus der großen Flexibilität ergeben sich unzählige Möglichkeiten, den Raum zu organisieren.
Direkt neben der Reithalle, in den alten Stallungen, ist eine kleine Bar, die zum beliebten Treffpunkt geworden ist. Hier wurde lediglich der Boden erneuert, eine Stahl-Glas-Trennwand eingezogen und Beleuchtung angebracht. Für ihre Vision zeigten die Architekten den Bauherren Szenen aus dem Film „Soul Kitchen“. „Film ist für uns ein Arbeitsinstrument. Im Planungsprozess gibt es viele Sachzwänge, oftmals drehen sich Diskussionen um Zeitpläne und Budget. Filme eröffnen die Möglichkeit, Diskussionen auf einer anderen Ebene zu führen.“ Das Kino bringt viele Dinge zusammen, die auf Plänen schwierig darzustellen sind, von denen dieses Projekt aber lebt: Licht, Geräusche, Menschen die sich bewegen.
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