Bücherei Gundelsheim
Nicht Vieh und Stroh füllen die Räume eines Bauernhofs im oberfränkischen Gundelsheim, sondern Bücherregale und Lesetische. Die Architektur feiert die schlichte Schönheit des giebelständigen Holzhauses.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
-
Das Bauernhaus mit kleinem Stall-Anbau vor der Erweiterung. Eine danebenstehende Scheune wurde vor Jahren abgerissen.
Foto: Stefan Meyer
Das Bauernhaus mit kleinem Stall-Anbau vor der Erweiterung. Eine danebenstehende Scheune wurde vor Jahren abgerissen.
Foto: Stefan Meyer
-
An Bach und Bachstraße bilden Bauernhaus und Neubauten nun ein Bücherei-Ensemble mit Vorplatz.
Foto: Stefan Meyer
An Bach und Bachstraße bilden Bauernhaus und Neubauten nun ein Bücherei-Ensemble mit Vorplatz.
Foto: Stefan Meyer
-
Umwandlung des Bauernhauses durch den Einbau einer verkleideten Stahlkonstruktion zum „Kinderhaus“.
Foto: Stefan Meyer
Umwandlung des Bauernhauses durch den Einbau einer verkleideten Stahlkonstruktion zum „Kinderhaus“.
Foto: Stefan Meyer
-
-
-
Auch auf der Rückseite des Doppelgiebels lässt sich das Haus-im-Haus-System an der Dichte der Lamellenstruktur ablesen.
Foto: Stefan Meyer
Auch auf der Rückseite des Doppelgiebels lässt sich das Haus-im-Haus-System an der Dichte der Lamellenstruktur ablesen.
Foto: Stefan Meyer
-
Innenblick zum Haupteingang, zur Linken das „Service-Haus“. Die verschiebbaren Regale haben wie die anderen Möbel ebenfalls Schlicht Lamprecht Architekten entworfen.
Foto: Stefan Meyer
Innenblick zum Haupteingang, zur Linken das „Service-Haus“. Die verschiebbaren Regale haben wie die anderen Möbel ebenfalls Schlicht Lamprecht Architekten entworfen.
Foto: Stefan Meyer
Jeder fünfte Bewohner einer Großstadt plant, diese in den kommenden zwei Jahren zu verlassen. Das besagt eine im Juli veröffentlichte Umfrage des Ifo-Instituts. Zwei treibende Gründe: hohe Mieten und die Folgen der Pandemie. Nun ist nicht klar, wie viele umgekehrt in die Großstadt ziehen wollen, der Fokus aber verschiebt sich – weg vom Innenstadtgewusel auf die Überschaubarkeit der mittelgroßen Städte und kleineren Orte des Landes.
Und diese rüsten auf. Wer jetzt seine Dorfmitte aufhübscht, sein Rathaus erneuert, vor allem aber neue Angebote jenseits eines Erholungsortes anbietet, kann nicht nur die Stadtflücht-linge für sich gewinnen, sondern auch die Eingesessenen halten. Eine Gemeinde, die diese Kernbelebung vorantreibt, liegt (wie so oft) in Süddeutschland. Gundelsheim in Oberfranken war lange Zeit ein einfaches Straßendorf nördlich von Bamberg, das in den Suburbanisierungswellen der letzten Jahrzehnte einem Hefeteig ähnlich aufging und sich von einer Linienstruktur zu einer Kreisform erweiterte. Mit dem Flächenwachstum ging jedoch keine Belebung der Hauptstraße einher. Im Gegenteil, an ihr wurde gewohnt und geschlafen, auf ihr herrschte mehr Durchgangsverkehr nach Bamberg. Die letzte Gaststätte schloss vor Jahren.
Nun hat sich unter dem SPD-Bürgermeister Jonas Merzbacher das Ortsbild gewandelt: Die Ränder der Hauptstraße sind ebenso wie die parallele Bachstraße neu gepflastert, Parkplätze sind Parkbänken gewichen, von denen sich auf den beschaulich plätschernden Leitenbach blicken lässt. Vor der Kirche wurde Raum für Festgesellschaften gewonnen, und neben dem alten Rathaus entsteht ein „Integrationshaus“, das durch eine von der Kommune betriebene Gastronomie mit syrischem Koch ein neuer Treffpunkt werden soll.
Mitten in der Corona-Pandemie eröffnete ein weiterer, den Ortskern prägender Baustein: die Gemeindebücherei. Diese war aufeinanderfolgend in der Schule, Kita und im Rathaus untergebracht, mit stets unbefriedigender Raumsituation. Aus einem Einladungswettbewerb entstand nun ein Bibliotheksgebäude, dessen einfache, aber augenfällige Architektur man auch anderen Orten des Landes wünscht. Schlicht Lamprecht Architekten erweiterten ein altes fränkisches Bauernhaus um einen Doppelgiebelbau, der sich vom Bestand durch eine Lamellenfassade aus vorvergrautem Eschenholz absetzt. Das Grundprinzip basiert auf dem Dreiklang eines Bauernhofes aus Haus, Stall und Scheune, allerdings neben- statt hintereinander, und in Form einer Zwillingsscheune. Dem Entwurf lag nicht nur die Stilisierung regionalhistorischer Architektur zugrunde, betont Architekt Stefan Schlicht, der umgeben von gleichartigen Bauernhäusern aufwuchs, sondern auch eine möglichst hohe Bestandsübernahme. Ein Abriss des 1802 errichteten Hauses stand daher nicht zur Debatte. Stattdessen wurde das Haus weitgehend entkernt, eine Fichtenholzkonstruktion eingezogen. In den Neubauten wurde Terrazzo verlegt, ein typischer Nutzboden historischer Bauernhäuser. Beim linksseitigen Anbau wurden die Ziegelmauer und preußische Kappendecke des alten Stalls integriert. Wer die Bücherei betritt, befindet sich unverkennbar in einem geschmirgelten Neubau mit hellvertäfelten Einbauten – doch sorgen die verschlemmte Ziegelwand und die braunroten Träger für einen überraschenden Bruch.
Eine weitere Wertschätzung des ländlichen Bauens verbirgt sich hinter dem Haus-im-Haus-System, das zweimal angewendet wurde. Im ehemaligen Wohnhaus entstand das hölzerne Kinderhaus (siehe Fotos unten), im rechtsseitigen Anbau wurde ein kleines Holzhaus mit Service- und Toilettenräumen eingefügt, ähnlich des Aufbaus einer Scheune mit einem Bansen, dem Bereich, in dem üblicherweise Getreide gelagert wird. Außen gibt sich die Giebelseite des kleinen Hauses durch eine dichte Lattenanordnung zu erkennen. Bei der restlichen Fassade der Vorder- und Rückseiten wurde jede zweite Latte ausgelassen, wodurch sich eine klare, aber durchlässige Rasterstruktur ergibt. Der Haupteingang, leicht aus der Mittelachse versetzt, ähnelt wiederum einer Scheunen-Durchfahrt.
Ihre Funktion als Anziehungspunkt wird die Bücherei – versehen mit 7000 Medien, Kinder-, Jugend-, und Cafébereich sowie Eventflächen durch verschiebbare Regale – wohl erst nach Corona beweisen können. Hinzukommen wird das wenige Meter entfernte Integrationshaus, entworfen von Muck Petzet Architekten. Seine Fertigstellung ist für September angekündigt.
Dass solche Bauvorhaben in einer 3600-Seelen-Gemeinde realisierbar sind, verdankt sich einem großen politischen Einsatz aber auch städtebaulichen Fördergeldern. Ohne die Programme von Land und Bund, bestätigt der Bürgermeister, wären die Projekte undenkbar gewesen.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare