Gasthaus und Hotel „Johann“ in Lauterach
Vor 60 Jahren wurde die historische Struktur von Lauterach durch einen „autogerechten“ Straßenbau zerstört. Ein neuer Gasthof mit Hotel ist der erste Schritt zur Heilung der Ortsmitte.
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
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Die Fassade verhüllt die Hotelnutzung in den Obergeschossen, ...
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
Die Fassade verhüllt die Hotelnutzung in den Obergeschossen, ...
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
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... um die Konfrontation von Landstraße und Privatheit zu vermeiden.
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
... um die Konfrontation von Landstraße und Privatheit zu vermeiden.
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
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In Nachbarschaft der Pfarrkirche St. Georg passt sich das Holzhybridhaus in die Lücke ein und trägt zur Rückgewinnung des Zentrums in der Rheintalgemeinde bei.
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
In Nachbarschaft der Pfarrkirche St. Georg passt sich das Holzhybridhaus in die Lücke ein und trägt zur Rückgewinnung des Zentrums in der Rheintalgemeinde bei.
Foto: Ludescher + Lutz Architekten
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Nicht nur die städtebauliche Ausstrahlung des Gebäudes ist von Holz geprägt.
Foto: Studio Wälder
Nicht nur die städtebauliche Ausstrahlung des Gebäudes ist von Holz geprägt.
Foto: Studio Wälder
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Die Gaststuben im Erdgeschoss sind rundherum mit Eiche ausgestattet.
Foto: Studio Wälder
Die Gaststuben im Erdgeschoss sind rundherum mit Eiche ausgestattet.
Foto: Studio Wälder
Am Beginn der 1990er Jahre war das kleine österreichische Bundesland Vorarlberg endgültig zum Vorreiter einer neuen europäischen Baukultur aufgestiegen. Nicht nur in Fachzeitschriften wurde die frische Architektur breit dokumentiert – sogar dem britischen Lifestyle-Magazin „Wallpaper“ war sie eine große Geschichte wert. In Bregenz selbst zeigte man 1993 in einer Ausstellung nicht ohne Stolz, was die „Vorarlberger Bauschule“ seit 1960 erreicht hatte. Die Schau präsentierte sowohl Architektur der ersten, sozusagen heroischen Generation, für die besonders Hans Purin und Rudolf Wäger stehen, als auch Bauten der anschließenden Generation, in der sich unter anderem Carlo Baumschlager, Dietmar Eberle und Hermann Kaufmann einen Namen gemacht hatten. Diese Leistungsschau führte aber auch eine Vorarlberger Eigenheit vor Augen, die bis heute ein Problem darstellt: Die neue Baukultur wurde zu einem großen Teil in Einfamilienhäusern verwirklicht.
Dietmar Eberle überraschte bei seinen damaligen Vorträgen das ausländische Publikum, wenn er seine Heimat als „Los Angeles in der Rheinebene“ charakterisierte. Tatsächlich folgt im Vorarlberger Rheintal auf dreißig Kilometern Länge eine Ortschaft auf die andere. Ein präzises Bild gewinnt man, wenn man nachts von den Hängen des Bregenzerwaldes in die Ebene schaut: Dann erblickt man ein schier unendliches Geflecht von Lichterketten. Die großflächige Zersiedlung hat einen historischen Grund – es ist die Tradition der Realteilung, die zu einem extrem gestreuten Grundbesitz geführt hat, auf dem sich die freistehenden Gebäude der „Hüslebauer“ dicht aneinanderreihen. Deshalb forderte Eberle schon vor 25 Jahren, dass die Qualität der Vorarlberger Architektur in eine städtebauliche Qualität überführt werden müsse. Inzwischen wirkt er resigniert: „Es ist fast gar nichts passiert, auf jeden Fall zu wenig.“
Dabei gibt es Architekten, die das Thema mit großem Einsatz bearbeiten. Zu ihnen gehören Elmar Ludescher und Philip Lutz, die seit 2011 ein gemeinsames Büro in Bregenz führen. Als Vertreter der dritten Vorarlberger Generation haben sie sich auf Lauterach konzentriert, eine prosperierende Gemeinde von rund 11.000 Einwohnern unmittelbar südlich der Landeshauptstadt Bregenz. Auch das Zentrum von Lauterach ist ein Opfer der „autogerechten“ Stadt- und Regionalplanung in der späten Nachkriegszeit. Ehe die Rheintalautobahn gebaut wurde, schlug die Landesregierung die neue Vorarlberger Straße L 190 durch die Städte und Gemeinden vom Bodensee bis nach Bludenz am Alpenrand. Ein Vergleich von Luftbildern aus den 1950er und den 1970er Jahren offenbart, wie die Struktur von Lauterach geschädigt wurde: So musste auch der ehedem Alte Markt dem Verkehr weichen. „Häuser wurden abgerissen, zentrale Parzellen durch dreieckige Zuschnitte wertlos gemacht und bauliche Raumkanten dem Fluss des Straßenverkehrs unterworfen“, konstatierten Ludescher und Lutz in einer Studie, die sie 2015 zur Rückgewinnung der verlorenen Qualitäten erarbeitet haben. Bewusst wurden ihnen die Verluste, als sie einige Jahre davor eine Markthalle an die L 190 stellen konnten, die den Straßenraum fasst. Eine städtebauliche Verbesserung in Lauterach stellt auch das von ihnen entworfene Einkaufszentrum dar – eine derart gute Architektur hätte man dem „Möbel-Giganten“ mit dem großen roten Stuhl nicht zugetraut.
Zeichenhafte Architektur
Mitte August treffe ich Philip Lutz, um das Gasthaus und Hotel „Johann“ am Alten Markt zu besichtigen. Seit Ende 2018 bildet der kompakte Neubau einen Blickfang im Straßenbild. Er ersetzt ein früheres Gasthaus, das nicht zu retten war. Ludescher und Lutz sind bekannt dafür, dass sie ihre Architektur gern zeichenhaft formulieren. Auch der „Johann“ bildet ein markantes Zeichen: durch seine strenge Kubatur mit einem würdevollen Walmdach sowie durch die differenzierte, funktional sinnvolle Lamellenstruktur der Fassaden, die in ein kräftiges Rostrot getaucht sind – dies eine Analogie zu Bauten in der näheren Umgebung. „Das Material Holz und die warme Farbe sollen in ihrer möbelhaften Gesamtwirkung der Unwirtlichkeit der stark befahrenen Kreuzung entgegen wirken“, erläutern die Architekten.
Auch im Inneren macht der „Johann“ Lust darauf, dort einzukehren und zu nächtigen. Im Erdgeschoss erschließt ein breiter Mittelgang mit Bar und Hotelrezeption zwei dezent möblierte Gasträume. In den beiden Obergeschossen liegen insgesamt 15 Gastzimmer, die vornehmlich von Geschäftsreisenden genutzt werden. In den Zimmern erlebt man, dass die vor den Fenstern weiter stehenden Lamellen nicht stören, sondern die Ausblicke fokussieren. Das ganze Haus strahlt beste Vorarlberger Zeitgenossenschaft aus, von der Materialwahl bis hin zu den Einbauten. Ludescher und Lutz bekennen sich zur Tradition: „Wir würdigen die gewachsene Baukultur und entwickeln sie weiter. Denn die regional üblichen Details haben einen praktischen Hintergrund: Das Material ist verfügbar, und die Technik ist bekannt.“
Philip Lutz versteht den „Johann“ als ersten Baustein, um die historische Ortsmitte wieder erlebbarer zu machen. Seine Wunschvorstellung, den alten Straßenverlauf mit zwei engen Kurven zu erneuern, wird sich wohl nicht erfüllen. Es wäre seiner Ansicht nach aber schon einiges gewonnen, wenn der ausgefranste Straßenraum durch neue Bauten wieder klare Kanten bekäme. Doch selbst für solche Verbesserungen sieht Lutz Hindernisse, die in der Vorarlberger Mentalität wurzeln würden. Ja, im Land zeige man eine größere Toleranz für neue Architektur als andernorts, „aber nur bis zur Eigentumsgrenze“. Auf eigenem Grund und Boden wolle man sich nicht dreinreden lassen, Ausnützung sei das erste Kriterium. Es fehle an städtebaulichem Anstand: „Wozu Gehsteige bauen, wenn man mit dem Auto fahren kann?“ In Lauterach sollen ja vor allem Lastzüge durch den Ort rauschen können, sind dort doch mehrere große Transportfirmen angesiedelt.
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