Bauwelt

Günstig, leicht und raffiniert – armierte Strukturen aus Ziegelmauerwerk

In Südamerika gibt es eine lebendige Tradition von Leichtbaustrukturen aus bewehrtem Mauerwerk.

Text: Beckh, Matthias, München

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    Architekturbiennale Venedig 2016 Die Installation „Breaking the Siege“ von Solano Benitez und Glo­-
    ria Cabral rückte die paraguayische Architektur ins Blickfeld der internationalen Fachöffentlichkeit.
    Foto: Laurian Ghiniţoiu

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    Architekturbiennale Venedig 2016 Die Installation „Breaking the Siege“ von Solano Benitez und Glo­-
    ria Cabral rückte die paraguayische Architektur ins Blickfeld der internationalen Fachöffentlichkeit.

    Foto: Laurian Ghiniţoiu

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    Fakultät für Architektur, Kunst und Design (FADA-UNA) 2020 stellten Solano Benitez und Glo­ria Cabral den Neubau für die Universität in Asun­ción fertig.
    Foto: Benedikt Schulz

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    Fakultät für Architektur, Kunst und Design (FADA-UNA) 2020 stellten Solano Benitez und Glo­ria Cabral den Neubau für die Universität in Asun­ción fertig.

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    Catenarius heißt ein Bausystem, das der Architekt Rami­ro Meyer entwickelt hat.
    Foto: Matthias Beckh

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    Catenarius heißt ein Bausystem, das der Architekt Rami­ro Meyer entwickelt hat.

    Foto: Matthias Beckh

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    Auf dem Gelände seiner Baufirma Tekoha in Asun­ción ...
    Foto: Ramiro Meyer

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    Auf dem Gelände seiner Baufirma Tekoha in Asun­ción ...

    Foto: Ramiro Meyer

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    ... wurde ein Prototyp realisiert.
    Foto: Ramiro Meyer

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    ... wurde ein Prototyp realisiert.

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    FCS Brise Soleil des gerade in Fertigstellung begriffenen Krankenhauses von Ser- gio Ruggeri in Asunción
    Foto: Matthias Beckh

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    FCS Brise Soleil des gerade in Fertigstellung begriffenen Krankenhauses von Ser- gio Ruggeri in Asunción

    Foto: Matthias Beckh

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    Cristo Obrero Die Kirche in Atlántida realisierte Eladio Dieste 1960.
    Foto: Matthias Beckh

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    Cristo Obrero Die Kirche in Atlántida realisierte Eladio Dieste 1960.

    Foto: Matthias Beckh

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    Cadyl 1978 entstand das Horizontalsilo in Young, Uruguay, ...
    Foto: Matthias Beckh

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    Cadyl 1978 entstand das Horizontalsilo in Young, Uruguay, ...

    Foto: Matthias Beckh

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    ... nach Plänen von Eladio Dieste.
    Foto: Matthias Beckh

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    ... nach Plänen von Eladio Dieste.

    Foto: Matthias Beckh

Günstig, leicht und raffiniert – armierte Strukturen aus Ziegelmauerwerk

In Südamerika gibt es eine lebendige Tradition von Leichtbaustrukturen aus bewehrtem Mauerwerk.

Text: Beckh, Matthias, München

Die einst unter anderem von Eladio Dieste entwickelten Konstruk­tionsprinzipien werden von jungen paraguayischen Architekten für heutige Bauaufgaben und Bedingungen adaptiert.
Spätestens seitdem das paraguayische Duo Solano Benitez (*1963) und Gloria Cabral (*1982) auf der Architekturbiennale 2016 in Venedig den Goldenen Löwen für die Arbeit „Breaking the Siege“ gewann, steht die Architekturszene Paraguays im internationalen Fokus. Die netzförmi­-ge Tonnenschale in Form eines Parabelbogens begeisterte nicht nur durch ihre Einfachheit und Eleganz, sondern auch durch die Eigenwilligkeit ihres konstruktiven Gefüges aus bewehrtem Mauerwerk, aus dem die dünnen Stäbe der Netzschale gefertigt waren.
Die filigranen Tragstrukturen aus armiertem Mauerwerk finden sich in vielen Bauten von So­lano Benitez und Gloria Cabral und verweisen auf eine Bauweise, die im südlichen Lateinamerika weit verbreitet ist. Der Verbundwerkstoff kombiniert unterschiedliche Arten von Mauerwerkssteinen oder Ziegeln mit einer meist netzartigen Anordnung von Bewehrungsstäben, die in den Fugen zwischen den Steinen geführt werden. Durch die Verwendung der allseits verfügbaren Ziegel ist der so geschaffene Werkstoff nicht nur besonders günstig, sondern auch leistungsstark und variationsreich; durch das kleine Mo­-dul der Ziegel lassen sich filigrane Strukturen unterschiedlichster Geometrien realisieren. Das Mauerwerk selbst übernimmt hierbei vielfach die Funktion einer verlorenen Schalung, was den Herstellungsaufwand minimiert.
Bei Benitez und Cabral kommen hierfür oftmals Ziegelbruchstücke aus ausrangierten Chargen zum Einsatz, die als vorfabrizierte verlorene Schalung den Oberflächen eine besondere Wirkung verleihen, wie beispielsweise in der Fundación Teletón in Asunción. Wie leistungsstark die bewehrten Mauerwerksstäbe ausgebildet werden können, veranschaulicht eindrücklich das neue Gebäude der Fakultät für Architektur, Kunstund Design (FADA-UNA) der Universität von Asunción, dessen wandartige Träger über mehr als zwanzig Meter spannen. Entsprechend der statischen Beanspruchung können Randelemen­te selbst für hohe Zugkräfte bewehrt werden.
Auch der experimentierfreudige Architekt Ramiro Meyer (*1986) nutzt die Konstruktionsweise des bewehrten Mauerwerks für seine dünnwandigen Flächentragwerke, die er mit dem eingespiel­ten Team seiner Baufirma Tekoha realisiert. Das Grundstück der Firma in der Peripherie von Asunción gleicht einem Reallabor, in dem verschiedenste Strukturformen im Maßstab 1:1 gebaut und untersucht werden. Das Spektrum reicht von leichten Sitzmöbeln aus Ferrocemento bis hin zu hyperbolischen Paraboloiden für Dachkonstruktionen aus bewehrtem Mau­erwerk, die an die Betonschalen von Felix Candela erinnern.
Das ideelle Zentrum des Werksgeländes bildet ein beidseits offenes, wellenförmiges Tonnen­gewölbe mit zehn Metern Spannweite, der Prototyp eines von Tekoha entwickelten Bausystems. Die Form des Gewölbes folgt der Kettenlinie, weshalb das System auf den Namen „Catenarius“ getauft wurde. Das Besondere der Halle sind ihr Baumaterial und der modulare Herstellungsprozess. Die luftgetrockneten Mauersteine (Maße: 5x13x27 cm) werden aus sogenanntem „terra cemento“ hergestellt, das auch vielfach für Stampflehmbauten Anwendung findet. Hierbei wird das Grundmaterial direkt aus dem lehm­haltigen Boden des Grundstücks entnommen und im Verhältnis von 7:3:1 mit lokalem Basaltsplitt und Zement vermengt, um eine höhere Festigkeit und ein geringes Schwindmaß zu
erhalten.
Der Aufbau der Tonnenschale selbst erfolgt mit Hilfe eines leichten Schalungssystems, mit dem ein drei Meter breites Modul errichtet werden kann. Die Basis hierfür bilden leichte, dreigurtige Gitterträger, die aus dünnen Bewehrungseisen geschweißt werden. Zwischen diese wird ein geflochtenes Kunststoffgewebe gehängt, auf das die einzelnen Lagen des Gewölbes stehend gemauert werden. Um die Nachgiebigkeit des Schalungssystems zu kompensieren, werden hierbei zuerst mittels Distanzhaltern einige Lagen stehend eingebracht, bevor die Fugen vermörtelt werden. In den horizontalen und vertikalen Fugen werden Bewehrungsstäbe (Durchmesser vier Millimeter) angeordnet, die für den notwendigen Verbund sorgen. Den äußeren Abschluss bildet eine drei Zentimeter starke Mörtelschicht, die durch ein Maschengewebe verstärkt wird, so dass die gesamte Stärke der Mauerwerksschale lediglich acht Zentimeter beträgt. Nach der Aushärtung eines drei Meter breiten Moduls wird die Schalung verschoben und der Prozess wiederholt, wobei ein Modul in einer Woche von vier Personen erstellt wird. Der auf dem Werksgelänge erstellte Prototyp besteht aus drei Modulen, misst also neun Meter in der Länge. Nachfolgend wurde das Schalungssystem auch für weitere Bauten verwendet, so dass die Herstellungskosten, die bei Schalenstrukturen erheblich durch den Schalungsaufwand bestimmt werden, weiter gesenkt werden konnten.
Eine offensichtliche Referenz für die Arbei­ten von Benitez und Meyer sind die Bauten von Eladio Dieste (1917–2000), dem unangefochtenen Meister kühner Konstruktionen aus bewehrtem Mauerwerk. Der uruguayische Bauingenieur hat durch eine stets raffinierte Formgebung Leichtbaustrukturen erschaffen, deren schwebender Charakter verblüfft und die gemeinhin mit Mauerwerk verknüpften Assoziationen von Schwere und Massivität auf den Kopf stellt.
Typischerweise verwendete Dieste für seine Schalenstrukturen ein quadratisches Netz aus liegend angeordneten Voll- oder Hochlochziegeln, in deren Mörtelfugen Bewehrungseisen angeordnet wurden. Durch die doppelte Krümmung der Oberflächen können die einwirkenden Lasten primär über Membrankräfte abgetragen werden, der zur Verfügung stehende Querschnitt der Schale wird also optimal ausgenutzt. Die gesamte Stärke der Mauerwerksschalen beträgt inklusive einer 2–3 Zentimeter starken Mörtelschicht lediglich 10–15 Zentimeter. Ein Verwand­ter der oben genannte Tonnenschalen von Meyer ist das beeindruckende Horizontalsilo mit fast dreißig Meter Spannweite, das Dieste 1978 in Young, Uruguay, realisierte. Die wellenförmige Oberfläche gewährleistet, dass sich die Stützlinie auch bei asymmetrischen Lasten aus Schüttgut oder Wind innerhalb der Einhüllenden aus beiden Kettenlinien einstellen kann.
Das weit gefächerte Werk Diestes umfasst allerdings bei Weitem nicht nur Ingenieurbauwerke wie Infrastruktur- und Hallenbauten, sondern auch repräsentative Bauten wie Wohnhäuser und Sakralbauten. Wie nur wenigen gelang Dieste durch die tiefgreifende Verzahnung von architektonischen und strukturellen Aspekten eine außergewöhnliche Synthese von Raum und Tragkonstruktion. Besonders beeindruckend kommt dies bei der Kirche San Pedro in Durazno (1967) zum Ausdruck, deren prismatische Wände aus bewehrtem Mauerwerk einen schwebenden Raum aufspannen, der durch eine geschickte indirekte Lichtführung inszeniert wird.
Auch im Werk des paraguayischen Architekten Sergio Ruggeri (*1972) ist der Einfluss Diestes an vielen Stellen spürbar, was wenig überrascht, promovierte Ruggeri doch an der Architekturfakultät von Venedig über die Sakralbau­ten von Eladio Dieste. Die Brise Soleil-Fassade der Bischofskonferenz in Asunción (Seite 34) zitiert die feingliedrigen Lamellen der Kirche Diestes in Atlán­tida. Und auch bei einem gerade fertiggestellten Klinikgebäude verwendet Ruggeri einen dünnwandigen Schleier aus bewehrtem Mauerwerk.
Das Bauen mit Mauerziegeln ist mit Abstand die günstigste Bauweise in Paraguay. Erweitert mit den mannigfaltigen Möglichkeiten des bewehrten Mauerwerks, eröffnet der bescheidene Werkstoff einen Reichtum an leichten und ma­terialreduzierten Tragstrukturen, den die Protagonisten der Architekturszene Asuncións mit viel Raffinesse ausschöpfen. Die bewährte Bauweise bildet in stets überraschenden Variationen das konstruktive Bindeglied zwischen den vielen unterschiedlichen Bauprojekten Paraguays.
Fakten
Architekten Benitez, Solano, Asunción (Paraguay); Cabral, Gloria, Asunción (Paraguay); Meyer, Ramiro, Asunción (Paraguay), Ruggeri, Sergio, Asunción (Paraguay); Dieste, Eladio (1917–2000)
aus Bauwelt 8.2023
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