Kunsthalle im Palazzo dei Diamanti in Ferrara
Labics haben im Palazzo dei Diamanti in Ferrara eine zeitgenössische Kunsthalle inszeniert. Ein neues Ineinandergreifen von Innen- und Außenräumen lädt dazu ein, die Renaissancearchitektur neu zu erleben.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Das Bossenwerk der Fassade ist das historisch prägende Merkmal. Für den Besuch bedeutsamer aber ist die neue Verbindung der Ausstellungsflügel über einen Wandelgang im Garten.
Foto: Mario Cappelletti
Das Bossenwerk der Fassade ist das historisch prägende Merkmal. Für den Besuch bedeutsamer aber ist die neue Verbindung der Ausstellungsflügel über einen Wandelgang im Garten.
Foto: Mario Cappelletti
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Ein neuer Wandelgang, die Passerella, ...
Foto: Marco Cappelletti
Ein neuer Wandelgang, die Passerella, ...
Foto: Marco Cappelletti
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... verbindet die Ausstellungsflügel des Palazzo.
Foto: Marco Cappelletti
... verbindet die Ausstellungsflügel des Palazzo.
Foto: Marco Cappelletti
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Ein Druck von 1782 zeigt die historische Gartenanlage des Palazzo, die als Grundlage der Neugestaltung diente.
Ein Druck von 1782 zeigt die historische Gartenanlage des Palazzo, die als Grundlage der Neugestaltung diente.
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Der Decumanus der Stadterweiterung wirkt heute mit seinen schmalen Trottoirs wie eine Hauptverkehrsstraße.
Foto: Ulrich Brinkmann
Der Decumanus der Stadterweiterung wirkt heute mit seinen schmalen Trottoirs wie eine Hauptverkehrsstraße.
Foto: Ulrich Brinkmann
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Eine Art Kulissenfassade trennt Cortile principale und Garten.
Foto: Marco Cappelletti
Eine Art Kulissenfassade trennt Cortile principale und Garten.
Foto: Marco Cappelletti
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Die verglaste Loggetta fungiert nun als Übergang zwischen Passerella und Ausstellung.
Foto: Marco Cappelletti
Die verglaste Loggetta fungiert nun als Übergang zwischen Passerella und Ausstellung.
Foto: Marco Cappelletti
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Neben der aufwendigen Straßenfassade sind es vor allem die Außenräume und Höfe unterschiedlichen Charakters, die den Palazzo prägen.
Foto: Marco Cappelletti
Neben der aufwendigen Straßenfassade sind es vor allem die Außenräume und Höfe unterschiedlichen Charakters, die den Palazzo prägen.
Foto: Marco Cappelletti
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Für den Bookshop wurde die historische Höhe des Saals durch das Entfernen einer Zwischendecke zurückgewonnen, ...
Foto: Marco Cappelletti
Für den Bookshop wurde die historische Höhe des Saals durch das Entfernen einer Zwischendecke zurückgewonnen, ...
Foto: Marco Cappelletti
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... das Holztragwerk der Decke wurde mit Stahl verstärkt.
Foto: Marco Cappelletti
... das Holztragwerk der Decke wurde mit Stahl verstärkt.
Foto: Marco Cappelletti
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Die Caffè-Bar
Foto: Marco Cappelletti
Die Caffè-Bar
Foto: Marco Cappelletti
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Die lange Flucht der Ausstellungssäle im Rossetti-Flügel ...
Foto: Marco Cappelletti
Die lange Flucht der Ausstellungssäle im Rossetti-Flügel ...
Foto: Marco Cappelletti
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... ist durch die hintereinander angeordneten Türöffnungen eine eindrucksvolle Enfilade.
Foto: Marco Cappelletti
... ist durch die hintereinander angeordneten Türöffnungen eine eindrucksvolle Enfilade.
Foto: Marco Cappelletti
Wer in die norditalienische Stadt Ferrara kommt, wird vermutlich zunächst den Domplatz ansteuern, wo sich mit der Kathedrale, dem Rathaus und, nur ein paar Schritte entfernt, dem Castello Estense die mittelalterlichen Hauptsehenswürdigkeiten ballen. UNESCO-Weltkulturerbe ist Ferrara seit 1995 aber als Stadt der Renaissance, und deren Zentrum befindet sich rund 800 Meter weiter nördlich, am Quadrivio degli Angeli.
Die „Kreuzung der Engel“ ist der Mittelpunkt der großzügigen Erweiterung der Stadt in der Emilia unter Herzog Ercole I. d’Este durch seinen Hofarchitekten Biagio Rossetti gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Hier treffen der Cardo der „Addizione Erculea“, der heutige Corso Ercole d’Este, und ihr Decumanus, der heutige Straßenzug Corso Porta Mare/Corso Porta Po, aufeinander. Ungewöhnlich ist, dass Rossetti dieses Zentrum nicht räumlich artikuliert hat, etwa in Gestalt einer Piazza, sondern architektonisch. Vier bedeutsame Paläste besetzen die Kreuzung: die Palazzi Prosperi-Sacrati, Bevilacqua, Turchi di Bagno und, als Höhepunkt, der Palazzo dei Diamanti.
Diese vier ab 1492 realisierten Gebäude standen am Beginn der ab 1484 geplanten Erweiterung der Residenzstadt. Deren Wachstum sollte jedoch weit hinter der erwarteten Dimension zurückbleiben, so dass sich bis heute ausgedehnte Gärten, ja sogar landwirtschaftlich genutzte Areale innerhalb der Stadtmauern befinden – eine wahre „campagna dentro le mura“ (Bauwelt 42.2012). Mit dem (allerdings fiktiven) „Giardino dei Finzi-Contini“ hat Giorgio Bassani dieser Stadtgestalt auch literarisch ein Denkmal gesetzt.
Der Palazzo dei Diamanti, wie die Stadterweiterung von Rossetti selbst geplant, trägt seinen Namen wegen der Fassade aus pyramidenförmig behauenen Marmorblöcken. Ende des 15. Jahrhunderts war dies zwar keine ganz große Neuerung der Bauwerksgestaltung mehr, wurde hier aber mit viel größerer Konsequenz umgesetzt als beispielsweise noch 15 Jahre zuvor im nahen Bologna am Palazzo Sanuti Bevilacqua degli Ariosti, der Rossetti bekannt gewesen sein dürfte. Das für Sigismondo I., den Bruder des Herzogs, von 1493–1503 errichtete Gebäude dient schon seit 1842 einer städtischen musealen Nutzung. Im Zweiten Weltkrieg wurde es durch britisch-amerikanisches Bombardement beschädigt und dann erneut beim Erdbeben 2012 – die Zeit war reif für eine gründliche Restaurierung und Erneuerung. Verantwortlich dafür zeichnet ein Team um das römische Architekturbüro Labics.
Seit Ende Februar stehen die Tore des für 5,85 Millionen Euro renovierten Palazzo wieder fürs Publikum offen. Derzeit (und noch bis zum 19. Juni) lockt neben der Architektur eine Sonderausstellung über die Renaissance-Maler Ercole de’Roberti und Lorenzo Costa – zusammen ein Fest fürs Auge und allemal Anlass, einen Besuch der Architekturbiennale in Venedig mit einem Abstecher ins nur gut 100 Kilometer entfernte Ferrara zu verbinden.
Labics und ihre Mitplanenden gingen im Herbst 2017 als Sieger aus dem internationalen Wettbewerb für die Erneuerung des Palazzo hervor. Ihr Projekt, dessen Umsetzung sich an die Behebung der gröbsten Erdbebenschäden anschloss, erstreckt sich über das gesamte, seit 1991 für Sonderausstellungen genutzte Erdgeschoss und sämtliche Außenbereiche – man mag es kaum glauben, aber die kleineren Höfe sowie weite Areale des Gartens zeigten sich bis vor kurzem verwahrlost. Das Piano nobile, in dem die Pinacoteca Nazionale di Ferrara mit ihrer Sammlung von Gemälden der Ferrareser Schule des 13. bis 18. Jahrhunderts untergebracht ist, blieb dagegen unangetastet.
Größte bauliche Neuerung ist der Wandelgang im Garten, mit dem sich nun ein Rundgang für die Besucherinnen und Besucher ergibt. Sie gelangen in diese „Passerella“, nachdem sie die „Ala Rossetti“, den nach dem Architekten benannten Nordflügel, durchschritten haben – nach der langen Enfilade von ausblicklosen Kunstlichträumen ein starker Kontrast mit einer Fülle von Tageslicht und weitem Blick in den großen Garten. Von hier geht es durch die „Loggetta“, eine ehemals offene, nun verglaste Laube in der Südwestecke des Haupthofs, in den Tisi-Flügel, durch den man zum neu eingerichteten Bookshop, zur ebenfalls neuen Caffè-Bar und zum Ausgang durch den Cortile del Risorgimento gelangt, dessen Name an das einst in diesem Teil des Palazzo untergebrachte Museo del Risorgimento erinnert. Man kann aber auch aus dem Wandelgang in den neu gestalteten Garten treten, wo er sich als offene Holzkonstruktion fortsetzt und das Wechselspiel des „Unfertigen“ aufgreift, das der Kontrast zwischen der aufwendig bearbeiteten Straßen- und der kaum gegliederten, rohen Hofseite des Palazzo anschlägt. Der Rhythmus des Wandelgangs bezieht sich auf die Achsmaße des Palazzo, so dass das Neue, bei aller Eigenständigkeit, mit dem Bestand korrespondiert. Und es gibt noch eine Analogie: Die Entscheidung, geflammtes Holz zu verwenden, trafen Labics aufgrund des dunklen Tons der Holzkonstruktion der Loggia im Obergeschoss.
Die Passerella schafft einen neuen Außenbereich zwischen dem „Cortile principale“ bzw. der Westfassade des Tisi-Flügels und dem Garten. Dieser ist von einer ganz eigenen Charakteristik in der Bandbreite der Außenräume des Palazzo. Die für den Wandelgang und die von ihm umfassten Freiräume ausgewählten hellen, fast weißen Bodenbeläge aus Cemento lavato bzw. Veneziano lavato ähneln sich stark, so dass der Eindruck einer durchgehenden Fläche entsteht. Das Baumraster im Hof bildet den Übergang zwischen Architektur und Garten.
Auch im Inneren wurden – mit Ausnahme des Tisi-Flügels – die Böden in Terazzo alla veneziana erneuert, zudem wurden die Räume mit roten Wänden wie Schmuckschatullen neu ausgekleidet, um die allen Ansprüchen an ein zeitgenössisches Kunstmuseum genügende Haustechnik vor den Blicken verbergen zu können. Bis auf zwei Ausnahmen verdecken diese auch die Fenster; lediglich am Beginn der Ausstellung ist eine der Fensternischen mit ihren in die Laibung gemauerten Sitzstufen sichtbar geblieben. Das edle Finish aller Oberflächen überträgt die handwerkliche Perfektion der Vergangenheit in die Gegenwart – keine Spur von jenem absichtsvollem Kontrast, der hierzulande häufig im historischen Ambiente gepflegt wird. Für die zarten Gemälde der Eröffnungsschau ist diese Perfektion ein überaus passender Rahmen.
Wer es nicht schafft, sich in Venedig vom „Laboratory of the future“ loszueisen, dem bietet Ferrara bald wieder Anlass für einen Besuch. Vom Palazzo dei Diamanti nur zwei Ecken entfernt, an der Piazza Ariostea, befindet sich mit dem Palazzo Massari ein weiterer, seit dem Erdbeben gesperrter Renaissance-Palast in Renovierung: Voraussichtlich ab nächstem Jahr wird sich dort die Kunst des 19. Jahrhunderts, allen voran das Werk des gebürtigen Ferrareser Giovanni Boldini, neu entdecken lassen.
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