Text: Aguiriano, Ines, Barcelona
Auch die Revitalisierung der einst ruinösen Pilgerkapelle San Juan de Ruesta war Bestandteil des Masterplans.
Die Ermita de San Juan de Ruesta ist ein kleiner romanischer Bau, ländlich gelegen in Nordspanien. Isoliert am Ufer des Flusses Aragón, am Fuß der Pyrenäen, liegt sie etwa zwei Kilometer vom verlassenen Dorf Ruesta entfernt. Im Hintergrund liegen der Stausee von Yesa und die mächtige Gebirgslandschaft Sierra de Leyre, ein imposanter Ort, der vermutlich unbemerkt bliebe, würde er nicht zum Jakobsweg gehören. Eine Kette von Begebenheiten hat der Kapelle neues Leben eingehaucht, wodurch sie auch in Zukunft erhalten bleibt.
Die Gegend ist reich an Geschichte: Es handelt sich um eine Grenzregion. Iberer, Westgoten und Römer besetzten einst das Gebiet. Den Grundstein für das, was heute ist, legten aber die Auseinandersetzungen zwischen den katholischen und muslimischen Königreichen in der Zeit zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert. Deren Dörfer wachten über den Flusslauf und prägten das Gebiet durch ihre Architektur. In einem Radius von wenigen Kilometern finden sich so islamische Festungen und katholische Klöster und Siedlungen auf den Bergeshöhen.
Der Bau der Eremitage, ebenso wie ihr Wiederaufbau, verstehen sich als Teil eines Netzwerks. So beschreibt es der Architekt Sergio Sebastián, Kenner der Region, der sich mit mehreren Projekten beschäftigt, die durch den roten Faden des Pilgerweges verbunden sind. Der Prozess begann mit Eingriffen an einigen Abschnitten des Wegs, die zur Sanierung mehrerer Kapellen und zur Befestigung eines Teils des verlassenen Dorfes Ruesta führten. Der Grund für die Abwanderung war der Bau des Yesa-Stausees in den 1960er Jahren, der das Land überflutete und die Bevölkerung zur Umsiedlung zwang. Das Gebiet entwickelte sich zu einem Ort der Verteidigung der Rechte der Landbevölkerung. Die Hydrographische Konferenz des Ebro, die für den Bau des Stausees verantwortlich ist, finanziert Projekte wie die Eremitage als Ausgleichsmaßnahme für die Erhaltung des Kulturerbes der Region.
Zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe war die Eremitage eine Ruine. Sie wurde Mitte des 12. Jahrhunderts erbaut und war einst berühmt für die Wandmalereien in ihrer Apsis, die zu den bedeutendsten ihrer Zeit gehörten. Sie sind heute im Diözesanmuseum von Jaca zu sehen. Der Umbau des Hauptschiffs erfolgte im 18. Jahrhundert. Aufgrund seiner Lage drohte das Gebäude in jüngerer Zeit, dem Überschwemmungsge-biet des Stausees anheimzufallen, was jedoch nicht geschah. Einen großen Teil des Bauwerks riss man 2001 dennoch ab, die Überreste in Form eines Steinhaufens verblieben an Ort und Stelle.
Nun stellte sich die Frage: Wie soll mit den Überresten einer romanischen Eremitage, von der weniger als die Hälfte ihres Volumens geblieben ist, verfahren werden? Möglichkeiten gab es viele, berichtet Sergio Sebastián Franco, und sowohl der Auftraggeber als auch der nur schwache Denkmalschutz des Gebäudes ließen eine flexible Instandsetzung zu. Man hätte, à la Ruskin, die Ruine eine Ruine sein lassen, oder sie, wie es die konservative Denkmalschutzkommission wollte, originalgetreu mit dem ursprünglichen Stein rekonstruieren können. Schlussendlich fand sich ein Kompromiss, der auf der Theorie der kritischen Restaurierung beruht. Die Entscheidung fiel auf eine Interpretation des Denkmals: abstrakte steinerne Rekonstruktion.
Ein homogenes Volumen, das die ursprüngliche Form wiedergibt, sitzt nun auf der bestehenden Ruine. Die Ergänzung aus Fassade und Dach aus demselben Stein spricht eine einheitliche Gestaltungssprache. Der Bau ruht auf sieben Metallrahmen, die dieselbe Form aufweisen wie das vorherige Bauwerk. Die Materialität
und die Anspielungen auf die landestypische Architektur, wie beispielsweise das für die Gegend typische Steindach oder die Rekonstruktion der ursprünglichen Öffnung in der Hauptfassade vermitteln trotzdem das Gefühl einer gewissen Verwandtschaft zwischen den beiden Teilen.
Die Kapelle liegt auf einer von Bäumen umgebenen Lichtung und wird erst aus nächster Nähe in ihrer Gesamtheit sichtbar. Ein Baum, älter als das Projekt selbst, ist in eine gleichmäßig auf der Wiese verteilten Anordnung von Steinen, dem Teilabriss entnommen, integriert. Diese feierliche Geste verflechtet die verschiedenen Zeitschichten des kleinen Sakralbaus und erweckt den Eindruck, dass das Projekt über eine Rekonstruktion im üblichen Sinne hinausgeht.
Der diagonale Zugang unterstreicht den zeitgenössischen Charakter des Eingriffs. Im Inneren herrscht eine Atmosphäre des Halbschattens, einer alten Dunkelheit, durchbrochen von einem neuen Netz aus Lichtpunkten, die durch die perforierte Steinfassade einfallen. Die Kapelle wurde wiederhergestellt, aber für ihre heutige Funktion aktualisiert: Sie ist ein Überbleibsel der Geschichte, Teil einer Pilgerroute und für die Pilgernden immer offen. Das Projekt hat zahlreiche Preise erhalten und wurde für die Architekturbiennale ausgewählt. Trotz ihrer Prominenz wird die Intervention nur als ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Gebäudes interpretiert – passgenau und repräsentativ für die jeweilige Zeit, mit nicht mehr (und nicht weniger) Anspruch, als dafür zu sorgen, dass der Faden nicht abreißt.
Aus dem Spanischen von Beate Staib
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