Waldraum
Die Erweiterung des Berliner Brücke-Museums in Form eines temporären Pavillons von ConstructLab ist präzise in den Baumbestand des Grunewalds wie auch in das spannungsvolle Kraftfeld der umgebenden Architekturgeschichte eingepasst.
Text: Thein, Florian, Berlin
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Eines der Schwartenbretter der Fassade zeigt Spuren des sogenannten Harzens, einer Technik zur Rohstoffgewinnung in der DDR.
Foto: Florian Thein
Eines der Schwartenbretter der Fassade zeigt Spuren des sogenannten Harzens, einer Technik zur Rohstoffgewinnung in der DDR.
Foto: Florian Thein
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Das Kunsthaus Dahlem, das Brücke-Museum und der Waldraum grenzen an den gemeinsam genutzten Garten.
Das Kunsthaus Dahlem, das Brücke-Museum und der Waldraum grenzen an den gemeinsam genutzten Garten.
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Blick auf den gartenseitigen Zugang.
Foto: Florian Thein
Blick auf den gartenseitigen Zugang.
Foto: Florian Thein
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Beim Transport der Kiefernstämme zur Baustelle kam ausschließlich Muskelkraft zum Einsatz, um die Natur möglichst wenig zu beeinträchtigen.
Foto: Alexander Römer
Beim Transport der Kiefernstämme zur Baustelle kam ausschließlich Muskelkraft zum Einsatz, um die Natur möglichst wenig zu beeinträchtigen.
Foto: Alexander Römer
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Das Brücke-Museum von Düttmann entstand zeitgleich zum Kirchenbau für die Kreuzberger Gemeinde St. Agnes.
Foto: Florian Thein
Das Brücke-Museum von Düttmann entstand zeitgleich zum Kirchenbau für die Kreuzberger Gemeinde St. Agnes.
Foto: Florian Thein
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Das ehemalige Breker-Atelier wurde 2015 von Kahlfeldt Architekten zum Ausstellungsgebäude ‚Kunsthaus Dahlem‘ umgewidmet (Bauwelt 31.2015).
Foto: Florian Thein
Das ehemalige Breker-Atelier wurde 2015 von Kahlfeldt Architekten zum Ausstellungsgebäude ‚Kunsthaus Dahlem‘ umgewidmet (Bauwelt 31.2015).
Foto: Florian Thein
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Die geschlossenen Lamellen aus Schwartenholz verhindern bei Sonneneinstrahlung ein zu starkes Aufheizen des Fewächshauses.
Foto: Constanze Flamme
Die geschlossenen Lamellen aus Schwartenholz verhindern bei Sonneneinstrahlung ein zu starkes Aufheizen des Fewächshauses.
Foto: Constanze Flamme
Das in bester Villenlage befindliche Grundstück im Berliner Ortsteil Dahlem wurde erstmals mit dem Bau eines Ateliers für einen der prominentesten Künstler des Nationalsozialismus erschlossen. Arno Breker, der es mit seinen idealisierten Heldenskulpturen zur zweifelhaften Ehre gebracht haben soll, Hitlers Lieblingsbildhauer zu werden, wurde hier 1942 von Architekt Hans Freese ein Arbeitsgebäude errichtet. Kriegsbedingt nutzte Breker den strengen Ziegelbau allerdings nur kurz bis ins Jahr 1943.
Auf Teilen der Kellerwänden seiner nicht mehr fertiggestellten Villa erwuchs 1967 das Brücke-Museum. Als Ausstellungsgebäude für die noch wenige Jahrzehnte zuvor als „entartete Kunst“ diffamierten Arbeiten der Künstlergruppe „Die Brücke“ entstand hier nach Plänen von Werner Düttmann ein ideologischer Antagonist zum Freese-Bau.
Dem massiven, dreiteiligen Kubus des Ateliers, das seit 2015 als – äußerlich unverändertes – Kunsthaus Dahlem der Ausstellung nachkriegsmoderner Kunst dient, stellt das Brücke-Museum einen flachen, aus mehreren Volumen zusammengesetzten, fein in der Höhe gestaffelten Bau gegenüber. Wo das eine Gebäude den vom damaligen Generalbauinspektor Albert Speer geforderten „repräsentativ großstädtischen Charakter“ der umgebenden Natur entgegensetzt, ist das andere, ganz im Sinne der „Brücke“, geradezu mit ihr verwoben.
Zwischen diese beiden Antipoden hat sich nun ein weiterer Baukörper in den Waldrand geschoben. Der temporäre Pavillon „Waldraum“ soll das bisher ausschließlich dem Ausstellungsbetrieb dienliche Brücke-Museum als „Vermittlungsraum“ erweitern und Ort sein für Publikumsarbeit, Veranstaltungen und Diskussionen. Das Konzept von Mascha Fehse und Alexander Römer von constructLab sah für die knapp 50 umbauten Quadratmeter einen partizipativ begleiteten Bauprozess vor, der die übliche Trennung von Planung und Ausführung aufheben sollte. Mit beteiligten Nachbarschaften unterschiedlichster Erfahrungsstufen, wie einer Werkstatt für behinderte Menschen oder einem Zimmereibetrieb mit Schwerpunkt auf Umschulung, Aus- und Weiterbildung, wurden in den zwei Jahren vom ersten Treffen bis zur Einweihung Planungsentscheidungen praktisch in Situ getroffen.
Unter der Maßgabe, keinen Baum zu fällen und kein Wurzelwerk zu beschädigen, legten die Beteiligten zunächst die exakte Größe des Pavillons vor Ort fest. Die daraus resultierenden zehn Punktfundamente dienen der Lastaufnahme eines recycelten Industriegewächshauses, das zusammen mit einer schwimmenden Holzkonstruktion als Boden die innere Schale des Hybridbaus bildet. Die modulare Struktur aus zusammengesteckten Stahlprofilen wurde neu verglast und kann zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Systems wiederverwendet werden. Eine hölzerne Dachstuhlkonstruktion aus fünf Rahmen bildet die äußere Schale. Hierzu wurden roh belassene Segmente von fünf Kiefern verwendet, die aus dem Garten des Brücke-Museums stammen und aufgrund von Borkenkäferbefall gefällt werden mussten. Die mittels Stahlprofilen biegesteif miteinander verbundenen Stämme sind ins Erdreich eingelassen und einer natürlichen Verrottung ausgesetzt, was bei der gewählten Dimensionierung allerdings viele Jahre dauern dürfte. Der Dachstuhl trägt die eigentliche Fassade aus Schwartenbrettern. Das Holz aus der Region ist als bewegliche Lamellenstruktur angebracht, die sich über ein Seilzugsystem per Handkurbel exakt einstellen lässt. So sorgt ein geschlossener Zustand im Sommer für eine ausreichende Verschattung, im Winter lassen die geöffneten Lamellen genügend Licht ins Gewächshaus.
Der Tarnanzug aus den teils unentrindeten Brettern erzeugt einen noch stärkeren Naturbezug als beim Düttmann-Bau – so lässt er den Pavillon im geschlossenen Zustand von außen camouflageartig mit den umgebenden Bäumen verschmelzen, geöffnet vermittelt sich von innen der Eindruck unmittelbar im Wald zu stehen.
Begreift man den „Waldraum“ mit seinen auf die Spitze getriebenen Prinzipien der Reduktion auf das Wesentliche und der Verwendung industriell vorgefertigter Bauteile als logische Konsequenz auf dem Zeitstrahl der Moderne, erscheint das der Urhütte ähnliche Ergebnis bemerkenswert. Die formale Gestalt lässt sich natürlich auch als Ausdruck gesellschaftlicher Gegenwart lesen. War die massive Erscheinung des ehemaligen Breker-Ateliers als Produktionsstätte von Heldenplastiken für Germania räumliche Ausformulierung autoritärer Allmachtsfantasien und repräsentierte das Brücke-Museum demokratische Werte der Bonner Republik, so zeugen die gestaltungsbestimmende Ressourcenschonung sowie der partizipative Bauprozess des „Waldraums“ von einem verstärkt sozial und ökologisch geprägten Gesellschaftsverständnis. Bleibt zu hoffen, dass er trotz seiner zeitlich begrenzten Ausrichtung, wie seine beiden Nachbarn, viele Jahre davon zeugen kann.
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