Eine Brücke jenseits des Flusses
Pier Luigi Nervis Papierfabrik in Mantua wurde von Massimo Narduzzo restauriert. Im vergangenen Jahr erhielt die Instandsetzung einen DOCOMOMO-Preis. Mittlerweile sind sich die Mantuesen der Bedeutung des Ingenieur-Bauwerks bewusst.
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Eine Brücke jenseits des Flusses
Pier Luigi Nervis Papierfabrik in Mantua wurde von Massimo Narduzzo restauriert. Im vergangenen Jahr erhielt die Instandsetzung einen DOCOMOMO-Preis. Mittlerweile sind sich die Mantuesen der Bedeutung des Ingenieur-Bauwerks bewusst.
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Als Signet bestens geeignet und ohne Frage ein Hingucker: Die Schrägseilbrücke von Mantua ist nicht das, als was sie aus der Ferne erscheint. Statt Gewässer oder Autobahnen zu überbrücken trägt sie das Dach über der Fertigungshalle der Kartonfabrik „Cartiera ex Burgo“. „Ex“, weil 1961 die Firma Burgo Pier Luigi Nervi, den Spezialisten für Spannbetonbau, mit dem Entwurf einer kompletten neuen Fabrikanlage nördlich der Altstadt von Mantua beauftragte, diese 1964 in Betrieb nahm, aber nach einigen Turbulenzen 2015 in neue Hände übergab. Jetzt gehört sie zum Konzern „Pro-Gest“, der die Silhouette der Halle unter den beiden Pylonen zum Logo für den Standort ausgewählt hat und dort seit der Wiedereröffnung 2021 Recycling-Wellpappe herstellt statt Papier für Zeitungen und Telefonbücher. Dabei blieb die Funktion im Wesentlichen erhalten. Dies und die Tatsache einer beispielhaften Restaurierung des Gebäudebestands unter dem wachsamen Auge des Architekten Massimo Narduzzo war 2022 die Auszeichnung mit einem der zwei DOCOMOMO-Preise für „Reuse, Renovation, Restauration“ in der Kategorie „sustained uses“ wert.
„Architektur als Herausforderung“ war 2012 der Titel einer Retrospektive über Pier Luigi Nervi im Palazzo del Te in Mantua unter besonderer Berücksichtigung der Papierfabrik zu einem Zeitpunkt, als diese sich noch – nach einem Brand 1974 und notdürftigen Ausbesserungen – in desolatem Zustand befand. Besonders herausfordernd war die Planung einer stützenfreien Fertigungsstraße für den Architekt-Ingenieur Nervi gewesen, denn hier kam der Beton an seine Grenzen. Seit dem Studium in Bologna bei Attilio Muggia, dem Urvater des Spannbetonbaus in Italien, hatte Nervi sich vor allem mit weitgespannten Hallen einen Namen gemacht. Brücken blieben die absolute Ausnahme und wenn dann als Spannbetonbrücke wie der Ponte del Risorgimento in Verona, datiert 1963. Mit dem Konstruktions- prinzip der Schrägseilbrücke knüpfte Nervi für die Cartiera in gewisser Weise an eigene frühe Entwürfe der 1930er Jahre an mit nach außen verlegten Tragstrukturen, die es ermöglichen, Innenräume stützenfrei zu halten.
Das Herzstück der Fabrik ist die vollautomatische Fertigungsstraße. Sie steht im Obergeschoss eines 250 Meter langen ungeteilten „Schuhkartons“ mit 160 Metern stützenfreier Fassaden. Diese Halle war die Voraussetzung dafür, dass die Fabrik trotz der Modernisierung des Maschinenparks denkmalgerecht restauriert werden konnte, ohne die Hülle zu zerstören. Im Erdgeschoss unter der Halle sind die Andienung und weitere Versorgungstechnik zwischen Betonstützen untergebracht. Das über der Halle durchlaufende Dach besteht aus einem Stahlgittertragwerk nach Entwurf von Gino Covre mit darunter abgehängter Decke. Diese Dachstruktur ist an vier Tragseilen aufgehängt, die über zwei portalbogenartigen Doppelpylonen abgespannt sind. Hier kommt wieder der Betonbauer Nervi zum Zuge, denn die vier Y-Spreizungen im unteren Abschnitt der Pylonen sind in Ortbeton ausgeführt, im Weiteren besteht der Aufbau bis auf 47 Meter Höhe aus vorgefertigten Betonelementen. Die Statik der Pylone hielt über die Jahrzehnte stand, sie mussten nur oberflächig restauriert werden. Über dem ziegelverkleideten Erdgeschoss sind oben die hohen schlanken Felder zwischen kreuzversteiften Stahlstreben mit Gussglasscheiben geschlossen. Diese Verglasung war weitgehend dem Brand zum Opfer gefallen und wurde jetzt durch originalgetreue Gläser ersetzt. Dabei wurden an der Süd- und Westfassade auch die horizontalen Sonnenschutzbänder wieder eingesetzt, die den Fassadenduktus hier bestimmen. Der Nordfassade ohne Sonnenschutz ist die Reihe der Gasturbinen mit stahlglänzenden Abluftkaminen vorgelagert.
Zu dem von Nervi geplanten, räumlich wie funktional austarierten Ensemble der Fabrik gehören außerdem der zweigeschossige verglaste Eingangs- und Verwaltungspavillon an der Nordostecke, dahinter, in Verlängerung der Haupthalle, eine weitere ziegelverkleidete Produktionshalle. Das Materiallager ist entgegengesetzt der Südwestecke der Halle angegliedert, ebenfalls ziegelverkleidet und innen aufgeteilt im Raster der Deckenelemente aus vorfabrizierten Betonkassetten System Nervi. Das offene Gelände vor der Nordfront nehmen zwei kreisrunde Klärbecken ein, bestehend aus dreiseitigen Betonelementen, wie zwei dekorative Schalenbrunnen mit überlaufendem Wasser.
Unbestreitbar ist es das Verdienst des jüngst verstorbenen Architekten Massimo Narduzzo aus Treviso und dessen Erfahrungen mit Restaurierungen, dass diese Fabrikanlage von hohem kulturellem Wert in einen Zustand versetzt werden konnte, der den Intentionen Nervis sehr nahe kommt. Dem Grundsatz, den betrieblichen Funktionen nur dort Tribut zu zahlen wo nötig und ein Maximum an Originalbestand zu bewahren, ist
es zu verdanken, dass auch innen zahlreiche Details weiterhin die Sprache der späten Moderne sprechen wie die Treppengeländer aus geschwärzten Kupferrohren und die Umrandung der Treppenstufen mit schmalen Streifen von grünem Marmor. Die Restaurierung der Cartiera wurde nicht zuletzt zum Vermächtnis an die Bevölkerung von Mantua, die gelernt hat, die Fabrik und ihre über den Lago di Mezzo aufragenden
Pylone als zu „ihrem“ Weltkulturerbe zugehörig zu begreifen.
es zu verdanken, dass auch innen zahlreiche Details weiterhin die Sprache der späten Moderne sprechen wie die Treppengeländer aus geschwärzten Kupferrohren und die Umrandung der Treppenstufen mit schmalen Streifen von grünem Marmor. Die Restaurierung der Cartiera wurde nicht zuletzt zum Vermächtnis an die Bevölkerung von Mantua, die gelernt hat, die Fabrik und ihre über den Lago di Mezzo aufragenden
Pylone als zu „ihrem“ Weltkulturerbe zugehörig zu begreifen.
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