Die Geister, die wir riefen
Das 1979 eröffnete Internationale Congress Centrum (ICC) soll weiterhin als Weißer Elefant im Autobahnknoten stehen. Das Koalitionspapier des neuen Senats grenzt an Hohn gegenüber der Architektur von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte und den Steuerzahlern. Wie aus einem Kraftprotz ein Gebäude wurde, das im Boden versinken möchte.
Text: Landes Josepha, Berlin
Die Geister, die wir riefen
Das 1979 eröffnete Internationale Congress Centrum (ICC) soll weiterhin als Weißer Elefant im Autobahnknoten stehen. Das Koalitionspapier des neuen Senats grenzt an Hohn gegenüber der Architektur von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte und den Steuerzahlern. Wie aus einem Kraftprotz ein Gebäude wurde, das im Boden versinken möchte.
Text: Landes Josepha, Berlin
Impfen kann Leben retten. Auch das von baulichen Kolossen – zumindest vorübergehend. Doch wir lernen gerade auch: Impfen hat Halbwertzeit. Das Berliner „ICC“ hält seit Mitte Dezember als Corona-Impfzentrum her, nachdem die Berliner Festspiele es im Oktober zur „Sun Machine“ transformiert hatten. Performances und Filmvorführungen hauchten dem schlafenden Riesen für zehn Tage Leben ein, Kulturbesucher fluteten den funktionalästhetischen Bau an der Berliner Avus. Zwei Monate später haben sich die angehenden Koalitionspartner von SPD, Grünen und Linken auf einen Entwurf des Koalitionsvertrags geeinigt – und beschlossen, das ICC zu ignorieren.
Seit seiner Schließung für den Kongress- und Eventbetrieb im Jahr 2014 hat das Internationale Congress Centrum im Westend als behäbiger Zankapfel diverse Abriss- und Umnutzungsszenarien hinter sich. Sein Problem: Es ist zu groß, unrentabel – und einige finden es hässlich. Leider bleiben die ersten beiden Einwände Fakten, selbst in ungenutztem Zustand. Laut einer Bedarfsermittlung von 2009 verschlang der Unterhalt bis dato jährlich 14,2 Millionen Euro, 6,8 Millionen davon flossen in Wartung, Instandhaltung und technische Erneuerung. Aktuelle Daten teilte die Betreibergesellschaft Messe Berlin uns auf Nachfrage nicht mit. Weggucken hilft angesichts dieser Kosten eigentlich nicht. Manchmal ist die Politik dann aber doch dankbar gewesen für die immense Raumreserve: Zwischen 2015 und 2017 nutzte das Land Berlin den Bau mit fast 30.000 Quadratmeter Grundfläche als Notunterkunft für Geflüchtete.
Anderntags aber fühlt sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen nicht zuständig für das von 1975 bis ’79 nach Plänen von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte errichtete Gebäude. Das folgt aus der Reaktion auf eine Mailanfrage vom 29. November – einen Tag nach Verkündung der neuen Zuständigkeiten im Senat: Die Stadtentwicklung soll von der Linken zurück zur SPD wechseln. Das ICC gehöre der Messe Berlin, schreibt uns die Pressestelle der für Baubelange zuständigen Verwaltungseinheit. Die Messe Berlin ist ein Landesunternehmen.
Zuletzt hat sich aus dem Senat für Stadtentwicklung und Wohnen 2016 der damalige Senator Andreas Geisel (SPD) in einer Pressemitteilung öffentlich zum ICC geäußert. Damals um anderslautende Presseberichterstattung zu dementieren und zu versichern, dass die Stadt anteilige 200 Millionen Euro für die Instandsetzung des Gebäudes bereit hielte; der Zeitplan, das bis 2022 zu tun, gelte. Seither hat sich aber eher anderes getan: Im September 2019 war Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) erfolgreich mit seinem Vorstoß, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen. Eine Status-Änderung, die dem parallel laufenden Verfahren des Wirtschaftssenats unter Ramona Pop (Grüne), einen Investor an Land zu ziehen, mit dem man sich die Kosten für Sanierung und Neukonzeption teilen könne, in die Quere kam.
Zuletzt versicherte Pop im Januar 2020 der Berliner Morgenpost, im Haushalt 2020/21 sei eine Investorensuche budgetiert. Allerdings klang dieses Projekt auch ein bisschen so, als habe es nie zuvor Ideen gegeben. Dabei hatten Architekten bereits 2014 Gegenvorschläge zur seinerzeit angedachten Shopping-Mall eingebracht. Mindestens ein Investor war ernsthaft interessiert, die fehlenden 300 Millionen zur Komplettsanierung zu ergänzen. In einem Rückblick auf seine Amtszeit erklärte der scheidende Finanzsenator Matthias Kolatz (SPD) am 8. Dezember dem Tagesspiegel gegenüber, er habe für den Haushalt 2022/23 die „Rückstellung“ des Projekts ICC vorgeschlagen.
In der Koalitionsvereinbarung 2016–2021 war noch das ausdrückliche Ziel formuliert, „die Nutzung als Notunterkunft schnellstmöglich zu beenden“, das ICC zu sanieren und wieder für den Kongressbetrieb nutzbar zu machen. Im „Entwurf zur Beschlussfassung eines Koalitionsvertrags 2021–2026“ auf Berliner Landesebene von Ende November 2021 ergibt die Suchanfrage „ICC“: Null Treffer. Im Tagesspiegel ist drei Tage später zu lesen: „Für das ICC gibt es keine Pläne“, ein „Spitzenpolitiker“ bezeichne den Bau als „Altlast“ und, dass Finanzpolitiker von der Messe einen neuen Masterplan erwarteten, der möglichst auch das ICC einbinde. Übrigens solle die Betreiberin dafür mit der Tempelhof Projekt GmbH zusammenarbeiten – das Land wälzt seine Verantwortlichkeit auf die eigenen Ausgründungen ab.
Wie kommt es zu diesem Loop des Nicht-Zuständig-Seins? Zumal im vergangenen Jahr mit großem Tamtam ein „Wettbewerbliches Dialogverfahren“ zur Überplanung des „Stadteingangs West“, des Knotenpunkts von Autobahn und Innenstadt im Westend, ausgerufen wurde? Das ICC steht in der Mitte dieses Knotenpunkts.
Architektur der Zeiten
Die seinerzeit bauausführende Firma Strabag veröffentlichte 1979 ein Video, anhand dessen sich die Konstruktion des Kongresszentrums wie auch die damalige Begeisterung für das Gebäude auch heute noch aufs Beste nachvollziehen lassen (zu finden auf architekturvideo.de oder bei youtube.com). Aus einer unfassbar großen Baugrube zwischen für heutige Gewohnheiten eher spärlich befahren wirkenden Straßensträngen wächst es schottenweise empor. Architekt Ralf Schüler erklärt im Film mit wenigen Strichen, wie die Veranstaltungsbereiche von den Vibrationen der anliegenden Autobahn- und S-Bahntrasse entkoppelt sind. Das Haus sei im Prinzip eine Stahlbrücke: Die Foyer-, Salon- und Saalebenen hängen in einem Strebwerk über der Eingangsebene. Schüler und Schüler-Wittes Portfolio umfasst neben öffentlichen Bauten und Wohnbau zahlreiche Infrastrukturprojekte wie Tunnel, U-Bahnstationen und Brücken. Das ICC reiht sich ein; als Brücke aber auch als Straße, als ganze Stadt sogar.
Der Zugang zum Gebäude erfolgt von Norden, über einen Vorplatz an der Neuen Kantstraße, in den Durchbrüche zum darunter liegenden Parkplatz eingelassen sind. Hinter einer Schalter-Vorhalle öffnet sich das untere Foyer mit einer zweiteiligen Haupterschließung, zur Linken rot, zur Rechten blau beleuchtet. Den Mittelstreifen dieser „Straße“ machen Info-Tresen aus, seitlich führen Abgänge zu Garderoben und Sanitärräumen und Aufgänge zum Veranstaltungsbereich. Im vorderen Abschnitt des Foyers verbindet eine große, von der Decke hängende Lichtskulptur die Eingangsebene mit dem oberen Foyer – eine von Lichtschläuchen umwobene Kugel, die das Gehirn der Maschine „Haus“ versinnbildlicht. Wie das Wegeleit- und Leuchtsystem im Rest des Hauses entwarf sie Frank Oehring.
Auf den oberen Ebenen, die in die Stahlträger eingehängt sind, fasst das ICC einen Saal für 800 Personen und eine Lounge, drei kleinere Säle, einer davon rund und an Raumschiffausstattung erinnernd, für 200 bis 300 Personen, relativ klassische Kleinsäle für jeweils 138 Menschen, einen 3000 und einen 5000 Personen fassenden Großsaal, die sich mit Tribünen ergänzen lassen und so maximal 9100 Sitze bieten. Außerdem gibt es jede Menge Erschließungsflächen: Foyerabschnitte, etwa in einem Übergang zur Messe das „Brückenfoyer“, oder als Verteilzone im Anschluss an die Rolltreppen, die am Ende der „Straße“ auf Ebene 0 im hinteren Gebäudeteil auf Ebene 1 landen. Diese großzügigen Verkehrsflächen sind räumlich, was die Besucher der Kunstschau im Herbst begeisterte – sie machen das ICC zu einer „überdachten Stadt“.
Das Gebäude ist dem ganzen Ansatz nach nicht flächen- und raumeffizient, es räumt Begegnungszonen hohen Stellenwert ein. Diese Großzügigkeit – Dekadenz? Man kann darin auch eine Art „Boomer“-Mentalität erahnen, nach uns die Sintflut – war ein Aushängeschild West-Berlins. Kurz zuvor erst hatte nämlich in Berlin, Hauptstadt der DDR, der Palast der Republik eröffnet. Was dort „Erichs Lampenladen“, war hier schierer Raum, waren futuristische, technoide Gestaltungselemente, die die Organe der Bautechnik sichtbar machten. Es war immer noch die Zeit, in der versucht wurde, der Demokratie eine entsprechende Architektur angedeihen zu lassen. Einer kapitalistischen Demokratieauffassung wohlgemerkt, einer noch nicht neoliberalen allerdings. Heute, wo Zahlen nur noch für Zahlen stehen, zugleich aber Grüne Belange endlich Gehör finden, gehen beide Zielsetzungen teils schiefe Verbindungen ein, lassen sich Grüne Argumente oft zu blauäugig vor den Karren des Kapitalmarkts spannen. Die Qualität von Wohn- und Stadtraum kommt dabei zu kurz – die scheidende Rot-Rot-Grüne Landesspitze zeigte demgegenüber kein Rückgrat, und auch die neue weckt kaum Hoffnung. Es ist ironisch, dass gerade der Koloss des Alten Westens an der Entwicklung dieser Marktlogik scheitert: Seine mangelnde Wirtschaftlichkeit, die zu großem Teil aus energetischem Überbedarf gespeist ist, der für etwas zu viel Raumkomfort sorgt, bricht dem ICC das Genick.
Koalition der Phrasen
Der Entwurf des aktuellen Koalitionsvertrags trägt den Titel „Zukunftshauptstadt Berlin, Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“ Darunter prangt zuvorderst das Giffey-SPD-Herz, gefolgt von der Sonnenblume der Grünen, die „Linke.“ steuerte Wohl den Punkt bei. Im Bereich Stadtentwicklung und Wohnen hat deutlich Letzteres Priorität. Noch nicht einmal dies jedoch, der Linken nach, ausreichend: Der vage Umgang mit dem Resultat des Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ hätte sie beinahe dazu gebracht, der Koalition fernzubleiben. Es ist beachtlich, wie bereits innerhalb eines Ressorts die Vernetzung von Einzelaspekten scheitert. Heißt es da etwa: „Wir wollen die Berliner Mischung (…) erhalten“, wird auf das Ende von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit gedrängt, die dramatische Wohnraumknappheit hervorgehoben, werden Klimaschutz und Energieeffizienz fett gedruckt und ist auf die aus Abriss folgende Grauenergie verwiesen, ein Bogenschlag zu Objekten wie dem ICC oder eben auch den Flughäfen Tempelhof und Tegel bleibt aus. Auch Wissenschaft und Forschung stärken, Kulturräume sichern zu wollen, gibt die Koalition vor – wieso aber fruchtet die Idee nicht, dazu den Bestand zu nutzen?
Dass das ICC ein harter Brocken ist, steht außer Frage. Jedoch, es ist schlichtweg falsch, zu behaupten, es gäbe kein Interesse privater Investoren, es gäbe keine Machbarkeitsstudien und harte Fakten. Bereits 2007 waren dafür vom Senat für Stadtentwicklung und Wohnen sowie jenem für Wirtschaft, Technologie und Frauen drei Gutachten dafür beauftrag worden – zu je 80.000 Euro. Wie eingangs erwähnt, war es der Senat selbst, der den anteiligen Investitionsbetrag des Landes von 200 Millionen Euro für eine energetische Sanierung als gesichert erklärte. Durch eine Sanierung ließe sich, laut Bericht von 2009, der technische Unterhalt auf jährlich 1,4 bis 3,7 Millionen Euro senken.
Das Haus muss eine abwechslungsreiche Programmierung erhalten. Kongresse allein sind nicht in der Lage, die Maschine am Laufen zu halten. Depots, Ausstellungsflächen, ein Hotel, Ladenflächen – Berliner Mischung halt. 2014 initiierte die Berliner Morgenpost einen „Wettbewerb“, zu dem sie Kleihues & Kleihues, Barkow Leibinger und Jürgen Mayer H. einlud. Der Senat nahm keine Notiz. Mayer H. camouflierte den Bau – auf bessere Zeiten wartend. Kleihues & Kleihues setzten einen Hotelturm anstelle des rückwärtigen Parkhauses, und Barkow Leibinger schlugen vor, im ICC Wohn- und Arbeitsräume unterzubringen. Diese Nutzung fiel letztlich sogar an, allerdings nicht konzeptgetreu: Im ICC haben Menschen „gewohnt“ – Flüchtlinge. Berlinern ist das aber wohl nicht zuzumuten – Berlin braucht Neubau in Randlage. Zur besseren Vernetzung der so wuchernden „Metropolregion“ wünscht sich der Senat im Entwurf für den Koalitionsvertrag 2021–2026 auch gleich eine Bauaustellung, um zu diskutieren, wie „innovatives Verwaltungshandeln“ funktionieren könnte.
Unterdessen haben Barkow Leibinger ein Projekt fürs Hotel Estrel am andern Ende der Stadt ergattert. Das Bettenhaus befindet sich in Bau. Ein Argument mehr gegen das ICC und ein Groß-Hotel im Westen. Da ist die Rede von gestärkten „Zentren“ in diesem Koalitionspapier – Dezentralität macht Metropole, das nur nebenbei. Investiert (z. B. mit innovativen Beteiligungsverfahrenstypen) wird aber in der Zukunftshauptstadt vorzüglich in das Zentrum: Alexanderplatz, Dragoner-Areal, Urbane Mitte. In Tempelhof lässt der Senat „anderweitig finanzierte“ Zwischennutzungen zu, offiziell wird hier nur der Bestand „gesichert“, und zwar „sukzessive“.
Berlin versagt in Sachen Re-Use. Das ICC badet das, wie es derzeit aussieht, weiterhin aus. Dies ist kein Bericht, dies ist ein Appell an den Berliner Senat, sich nicht auf Akteuren wie den Berliner Festspielen abzustützen, sondern selbst Kultur und Kulturgüter zu sichern. Die Lust schwindet. Die zehn Oktober-Festtage
im ICC waren genau das: ein Fest. Eine Erweckungsfeier, an die aber auch Hoffnungen geknüpft waren. Es unkten viele, das würde nichts ändern. Die beteiligten Planer, von der Architektin bis zum Lichtkünstler, äußerten an verschiedenen Stellen schon Enttäuschung über den Umgang mit ihrem Werk. Zur Eröffnung 1979 war ihm umfangreich gehuldigt worden: Kaum ein in West-Berlin vertretenes Unternehmen, das keine Werbeanzeige ins anlässlich der Fertigstellung erschienene Buch drucken wollte – neben einer Spalte von „Fernseh Kummer – Jägernummer“ und dem Charlottenburger Juwelier Heinz Wipperfeld halbseitig gratulierten unter anderem „De Danske Spritfabrik“, BMW und Mercedes sowie das KaDeWe ganzseitig.
im ICC waren genau das: ein Fest. Eine Erweckungsfeier, an die aber auch Hoffnungen geknüpft waren. Es unkten viele, das würde nichts ändern. Die beteiligten Planer, von der Architektin bis zum Lichtkünstler, äußerten an verschiedenen Stellen schon Enttäuschung über den Umgang mit ihrem Werk. Zur Eröffnung 1979 war ihm umfangreich gehuldigt worden: Kaum ein in West-Berlin vertretenes Unternehmen, das keine Werbeanzeige ins anlässlich der Fertigstellung erschienene Buch drucken wollte – neben einer Spalte von „Fernseh Kummer – Jägernummer“ und dem Charlottenburger Juwelier Heinz Wipperfeld halbseitig gratulierten unter anderem „De Danske Spritfabrik“, BMW und Mercedes sowie das KaDeWe ganzseitig.
Das ICC ist ein unvergleichliches Raumwunder, und es ist aufs Allerfeinste detailliert. Es vorsätzlich vergammeln zu lassen – und so drastisch ist dieser Aufschlag der neuen Landesregierung – gleicht einem Frevel, der allen Grünen, nachhaltigen, ökonomischen, vielfältigen und sozialen Schlagworten im Rest des Papiers sowie der Stadtentwicklung und Architektur Berlins hohnspricht.
Wäre zu überlegen, das ICC abzureißen, wenn man es denn so überhaupt nicht gerne irgendwie nachnutzen möchte? Wenigstens wäre das eine Entscheidung – die denkbar schlechteste, aber immerhin eine Entscheidung. Ach, aber der Denkmalschutz. Ach, und die Grauenergie. Welcome to the Loop. Vielleicht hilft Camouflage? Ex-Finanzsenator Kollatz hatte auch eine Idee: Machen wir ein Rechenzentrum draus. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Dies ist der Versuch eines Boosters fürs ICC.
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