Chinas neue Architektur
Bauen im Kontext
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Chinas neue Architektur
Bauen im Kontext
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Endlose, eintönige Hochhausmeere und glänzende, westliche Wolkenkratzer, die sonst Berichte über chinesische Architektur dominieren, werden in diesem Buch leise und unaufdringlich um hochwertige, originelle Projekte ergänzt. In China wächst schon seit Jahren eine neue Szene von Architekten, die den anonymen XXL-Gebäuden eine Architektur mit Eigenständigkeit, Lokalkolorit und menschlichem Maßstab entgegensetzen. Ihre Bauwerke strahlen Magie und Poesie aus, getragen von verwitterten Materialien, labyrinthischen öffentlichen Räumen, kleinteiligen Strukturen, Mustern und Rhythmen in Fassaden. Wie eine zur Architektur gewordene Landschaftsarchitektur, die die wechselnden Stimmungen des Wetters und der Jahreszeiten einbezieht.
Das Buch stellt 19 Bauten unterschiedlicher Typologien und Maßstäbe vor, jedoch eher kleine und ländliche als große und städtische, eher öffentliche als private (die Bauherren sind dennoch überwiegend privat). Eingeführt werden die Projekte durch einen Text des früheren DETAIL-Chefredakteurs Christian Schittich und ein Interview mit dem chinesischen Pritzker Prize-Träger 2012, Wang Shu, dessen Büro Amateur Architecture Studio vorbildlich eine soziale und umweltbewusste Architektur in China vorangetrieben hat. Die Einleitung gibt einen kurzen Einblick in die Entstehungsbedingungen für Architektur in China: Während die Hochgeschwindigkeitsurbanisierung von riesigen staatlichen Büros einheitlich entworfen wird, sind private Büros erst seit Mitte der 1990er Jahren erlaubt. Letztere werden oft von Architekten gegründet, die im Westen ausgebildet sind und mit großem, persönlichem Engagement und Eigeninitiative nach China zurückkehren. Schwerpunkt des Buches liegt aber auf der Form. Merkmale der neuen Architektur sieht Schittich in der gemeinnützigen Orientierung sowie der Neuinterpretation des Bestands und der traditionellen Bauweisen.
So schafft es beispielsweise Atelier Deshaus, einen riesigen Kindergarten – statt wie eine Betreuungsfabrik – wie ein kleines Dorf aus neun verschachtelten Häusern aus warmem Ziegeln in den Bergen zu realisieren. Oder O-office Architectsʼ Fotomuseum öffnet sein Dach für die Öffentlichkeit mit großzügigen Freitreppen und Aussichtsplattformen, die gleichzeitig als Freilichttheater genutzt werden können. Statt checklistenmäßig die Gebäude zu beschreiben, sind die kurzen Projekttexte eher wie Ministories aufgebaut und erzählen, wie sich Architekt und Bauherr im Fernsehen kennengelernt haben, oder wie die hochwertige Architektur einer Zuckermanufaktur zur höheren Produktqualität und schließlich höheren Marktpreisen beiträgt.
Nicht alle Projekte sind aus europäischer Sicht gelungen. Das in den Untergrund vergrabene China Imperial Examination Museum zum Beispiel baut städtebaulich eher Grenzen auf als ab. Auch stellt sich die Frage, inwieweit Architektur als Gesellschaftsprojekt in China eine Nische der Elite bleibt. Das Auswahlprinzip ist aber klar und das Buchformat wie die Projekte selbst klein, fein, eng redigiert, reduziert. Ästhetisch und einnehmend.
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