NS-Dokumentationszentrum in München
Das NS-Dokumentationszentrum am Königsplatz in München will ein Zeichen gegen das Vergessen sein. Weißbeton bildet den Hintergrund zum Erinnern
Text: Adam, Hubertus, Zürich
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Die Blicke auf die umliegenden Bauten, wie etwa auf den ehemaligen Führerbau, die heutige Hochschule
für Musik und Theater, sind Teil der Ausstellung
Foto: Stefan Müller
Die Blicke auf die umliegenden Bauten, wie etwa auf den ehemaligen Führerbau, die heutige Hochschule
für Musik und Theater, sind Teil der Ausstellung
Foto: Stefan Müller
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Lufträume im Inneren verbinden je zwei Geschosse. Sie zeichnen sich an der Fassade durch mehrere schmale vertikale Fenster ab.
Foto: Stefan Müller
Lufträume im Inneren verbinden je zwei Geschosse. Sie zeichnen sich an der Fassade durch mehrere schmale vertikale Fenster ab.
Foto: Stefan Müller
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Vom Archiv im ersten Untergeschoss kann man seitlich ins Auditorium schauen. Beide Räume erstrecken sich unter dem Vorplatz.
Foto: Stefan Müller
Vom Archiv im ersten Untergeschoss kann man seitlich ins Auditorium schauen. Beide Räume erstrecken sich unter dem Vorplatz.
Foto: Stefan Müller
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Vom Königsplatz aus gut sichtbar, erhebt sich hinter dem unlängst von camouflierendem Bewuchs befreiten Sockel des einstigen NS-„Ehrentempels“ an der Brienner Straße ein enigmatisches Gebäude: Es ist kubisch in der Form, mithin abstrakt, und wahrt damit Distanz zur klassizistischen und neoklassizistischen Bebauung; es ist etwas höher als seine baulichen Nachbarn; und es besteht aus weißem Sichtbeton, nicht aus Naturstein. Das Gebäude zelebriert seine Andersartigkeit nicht, es zeigt sie schlicht; es verstört mit subtiler Irritation.
Das NS-Dokumentationszentrum München steht an einem historisch „belasteten“ Ort. 1930 erwarb die NSDAP das zwischen Karolinen- und Königsplatz auf der Nordseite der Brienner Straße gelegene Palais Barlow, das gut ein Jahrhundert zuvor von dem Klenze-Mitarbeiter Johann Baptist Métivier errichtet worden war. Paul Ludwig Troost (1878–1934) erhielt den Auftrag, es zu einem „Parteiheim“ umzubauen und zu erweitern. Das nunmehr „Braune Haus“ wurde zum Nukleus einer sich schrittweise vollziehenden nationalsozialistischen Umgestaltung der Maxvorstadt. Seit 1933 erwarb die NSDAP zwischen Gabelsbergerstraße, Barer Straße, Karlstraße und Arcisstraße mehr als fünfzig Grundstücke. Für diverse Organisationen und Gliederungen der Partei wurden die bestehenden Gebäude teils umgenutzt, teils abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Noch vor der entscheidenden Reichstagswahl im März 1933 begann der Aufkauf der Häuser im Kreuzungsbereich von Arcisstraße und Brienner Straße, welche die Ostflanke des Königsplatzes gebildet hatten; hier entstand, ebenfalls nach Plänen von Troost, das Parteizentrum mit dem „Führerbau“ im Norden und dem „Verwaltungsbau“ im Süden. Dazwischen schoben sich, die Einmündung der Brienner Straße in den Königsplatz markierend, die sogenannten Ehrentempel mit den Sarkophagen der „Gefallenen der Bewegung“, also jener NSDAP-Kämpfer, die 1923 bei Hitlers gescheitertem Putschversuch ums Leben gekommen waren. Die auch noch von Troost verantwortete Pflasterung des Königsplatzes mit Granitplatten schuf für die Parteibauten einen gigantischen Vorplatz und degradierte die Gebäude aus der Epoche Ludwigs I. (Glyptothek, Antikensammlung, Propyläen) zu Kulissen.
Das Partei- und Kultzentrum der NSDAP in München war das erste Großbauvorhaben des Nationalsozialismus in München und präfigurierte mit dem von Troost kultivierten Monumentalklassizismus spätere repräsentative Bauvorhaben, ob in Berlin oder an anderen Orten des Reiches und der besetzten Gebiete. Zugleich zeugte es von der sich nach 1933 verstärkenden Landnahme der Partei in München, jener Stadt, die für die Frühgeschichte der Partei von großer Bedeutung war. Die Aktivitäten überformten die Maxvorstadt und eliminierten wichtige Zeugnisse des Klassizismus, darunter Bauten des Klenze-Vorgängers Carl von Fischer.
Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus begann an den Opferorten, in Bayern mit den KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg. Wie auch in anderen Teilen Deutschlands tat man sich im Freistaat mit den Täterorten schwerer. Das lässt sich paradigmatisch am Umgang mit dem früheren Parteizentrum in München nach 1945 nachweisen. Während Führer- und Verwaltungsbau, von Kriegseinwirkungen weitgehend verschont, schon zur Zeit der amerikanischen Besatzung für kulturelle Zwecke umgenutzt wurden, sprengte man die Ehrentempel Anfang 1947, verbarg die verbliebenen Sockel aber zunächst hinter Holzgerüsten. Zehn Jahre später wurden die Relikte bepflanzt, was zu der bizarren Situation geführt hat, dass der südliche Sockel Eingang in die Liste geschützter Grünanlagen gefunden hat – als Biotop. Einen späten Widerhall hat diese Strategie des „Gras-drüber-wachsen-Lassen“ 1987/88 in der Entfernung der Granitplatten des Königsplatzes und der nachfolgenden Begrünung gefunden, mit der vorgeblich der historische Zustand wiederhergestellt wurde.
Dass die nationalsozialistische Geschichte des Ortes überhaupt in das öffentliche Bewusstsein zurückkehrte, ist einerseits dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu verdanken, das im damals noch mit wildem Wein berankten ehemaligen „Verwaltungsbau“ 1995 eine Ausstellung zum Thema präsentierte; andererseits waren es Bottom-up-Initiativen, die angesichts offizieller Verdrängung hartnäckig Aufklärungsarbeit leisteten. Ein Bürgergremium forderte 1996 einen der Berliner „Topographie des Terrors“ entsprechenden Dokumentationsort und fand beim Bezirkausschuss Maxvorstadt Gehör. 2001 bzw. 2002 sprachen sich der Münchner Stadtrat und die Bayrische Landesregierung für das Vorhaben aus, doch mussten noch einige Jahre ins Land gehen, bis die paritätische Finanzierung der Baukosten (28,2 Millionen Euro) durch Bund, Land und Stadt gesichert war und der Realisierungswettbewerb für ein NS-Dokumentationszentrum durchgeführt werden konnte. 2009 sprach sich die Jury für den Entwurf des Berliner Büros Georg Scheel Wetzel Architekten aus (Bauwelt 12.2009); nach zwei Jahren Bauzeit wird am 30. April das NS-Dokumentationszentrum als „Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus“ offiziell eröffnet. Sein Standort ist das Jahrzehnte brachliegende Grundstück des kriegszerstörten und anschließend abgerissenen „Braunen Hauses“.
Das Berliner Büro Georg Scheel Wetzel hat einen oberirdischen Würfel aus Weißbeton mit einer Kantenlänge von 22,5 Metern realisiert; das ungefähr gleiche Volumen findet sich nochmals auf zwei Untergeschosse verteilt, wobei das Auditorium unter dem mit Platten belegten Vorplatz angeordnet ist. Vom Foyer im Erdgeschoss fahren die Besucher per Aufzug in das vierte Obergeschoss, wo die Dauerausstellung beginnt, die sie bis hinab ins zweite Obergeschoss durchlaufen; Sonderausstellungen finden im ersten Geschoss statt, Seminarräume und die Verwaltung liegen im fünften. Sämtliche Erschließungen sind in einem Kern gebündelt, der innerhalb des Grundrissquadrats leicht exzentrisch angeordnet ist; beim Geschossrundgang ergeben sich damit schmalere Raumbereiche auf der Nord- und Ostseite sowie breitere Richtung Süden und Westen. Lufträume im Inneren verbinden je zwei Geschosse und zeichnen sich an der Fassade mit geschossübergreifenden, durch vertikale Betonlamellen rhythmisierte Fensteröffnungen ab. Das Haus ist nicht als Black-Box konzipiert, sondern als Ort, der es den Besuchern ermöglichen soll, sich visuell in der historischen und aktuellen Topografie zu orientieren. Die Ausblicke auf die Umgebung sind für die Konzeption des Gebäudes konstitutiv; daher überragt es die klassizistischen Bauwerke ebenso wie den benachbarten „Führerbau“, ohne jedoch den Maßstab radikal zu sprengen.
Für Dokumentationszentren an Täterorten gibt es keine allgemeinverbindliche architektonische Strategie – außer der Forderung, dass sich die Formensprache eher zurückhaltend darstellen sollte, auf jeden Fall nicht modisch und vordergründig. Das Zuviel an architektonischer Ambition hatte 1995 Zumthors Projekt für die „Topographie des Terrors“ in Berlin zu Fall gebracht, wobei der schließlich in einem neuen Anlauf realisierte Entwurf mit seinem Edelbaracken-Charme sicherlich keine überzeugendere Lösung darstellt (
Bauwelt 16.2010). Dabei zeigte sich das Dilemma der Täterorte: Auch wenn Ästhetisierung vermieden werden muss und soll, geht es bei Architektur immer um Gestaltung, die auch im Falle dieser Bauaufgabe gut sein sollte. Die kräftige Geste einer architektonischen Intervention, wie sie Günther Domenig in Nürnberg beim Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ausführte, war anders gelagert: Sie musste im bombastischen Torso der Kongresshalle ein Zeichen der Andersartigkeit setzen.
Georg Scheel Wetzel gehen in München ungleich subtiler vor. In dieser komplexen urbanen Topografie verbietet sich ein allzu eindeutiges Zeichen. Das NS-Dokumentationszentrum ist das Gegenteil einer Architektur Parlante; es ist eine Architektur, die schweigt, sich vermeintlich neutral und ohne Eigenschaften gibt. Dabei zitiert sie in ihrer Kubatur und Haltung durchaus historische Epochen: so die frühen Villen, die unter Carl von Fischer und dem Landschaftsarchitekten Friedrich Ludwig Sckell in der Maxvorstadt realisiert wurden, bevor Leo von Klenze die Planung des Gebiets um den Königsplatz übernahm; oder die vereinzelten Nachkriegsbauten am Karolinenplatz, etwa die Landesbausparkasse von Josef Wiedemann (1956) oder das Amerika-Haus von Karl Fischer und Franz Simm (1957).
Man kann den Neubau von Georg Scheel Wetzel wie eine Kippfigur verstehen, die je nach Lesart im Ensemble um den Königsplatz vage im Hintergrund bleibt oder leicht in den Vordergrund drängt. Er wird in seiner bewussten Andersartigkeit erkennbar – und fügt sich doch auch ein. Indem die Architekten die irritierenden Potenziale der Abstraktion nutzen, ist ihnen ein adäquater Ausdruck für einen Lern- und Dokumentationsort an dieser Stelle gelungen: Denn Lernen bedeutet, Differenzen zu erkennen, Lernen heißt Sensibilisierung.
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