Tate Modern London
Vor 16 Jahren eröffnete die Tate Modern im ehemaligen Kraftwerk Bankside. Der Ergänzungsbau von Herzog & de Meuron verbindet das Museum nun mit dem Stadtteil Southwark im Süden. Die Faszination der perforierten Fassade, ein Gitterwerk aus Ziegeln, erklärt sich erst aus der Nähe
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Auf der Westseite verschränken sich die Stirnseite des ehemaligen Kraftwerks und der Neubau
Foto: Iwan Baan
Auf der Westseite verschränken sich die Stirnseite des ehemaligen Kraftwerks und der Neubau
Foto: Iwan Baan
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Der Neubau fasst einen Vorplatz, mit dem sich die Tate Modern nun explizit nach Süden wendet, dem Stadtteil Southwark zu.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
Der Neubau fasst einen Vorplatz, mit dem sich die Tate Modern nun explizit nach Süden wendet, dem Stadtteil Southwark zu.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
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Innen ist die Fassade als plastische, raumhaltige Konstruktion erlebbar
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
Innen ist die Fassade als plastische, raumhaltige Konstruktion erlebbar
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
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Aussichtsplattform und Restaurant machen die Spitze zur Attraktion.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
Aussichtsplattform und Restaurant machen die Spitze zur Attraktion.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
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Die Ausstellungsräume sind von klassischer Gestalt mit wenig Außenbezug.
Foto: Iwan Baan
Die Ausstellungsräume sind von klassischer Gestalt mit wenig Außenbezug.
Foto: Iwan Baan
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Eine Wendeltreppe führt zu den Öltanks im Untergeschoss.
Foto: Iwan Baan
Eine Wendeltreppe führt zu den Öltanks im Untergeschoss.
Foto: Iwan Baan
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Nachts tritt das Innere dennoch glimmend im Stadtraum in Erscheinung.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
Nachts tritt das Innere dennoch glimmend im Stadtraum in Erscheinung.
Foto: Luc Boegly + Sergio Grazia
Ein Hauptwerk der eigenen Bauten zu erweitern, ist keine ganz alltägliche Herausforderung für einen Architekten. Herzog & de Meuron waren aber genau mit dieser Aufgabe konfrontiert, als sie sich 2004, rund vier Jahre nach der Eröffnung der Tate Modern im alten Kraftwerk Bankside am Südufer der Themse (
Bauwelt 23.2000), direkt gegenüber der City of London und der Kathedrale St.Paul’s, an die ersten Skizzen für einen neuen Anbau anstelle des einstigen Schalterhauses setzten. Das Wort „Anbau“ könnte allerdings auf eine falsche Fährte führen: Zwar wirkt das zwölf Jahre später, im Juni dieses Jahres, eröffnete, rund 260 Millionen Pfund Sterling teure Gebäude tatsächlich als punktuelle Ergänzung des gigantischen Kraftwerksgebäudes von Giles Gilbert Scott (1880–1960) aus den fünfziger Jahren, doch ist es mitnichten ein kleines Projekt: Immerhin 21.000 Quadratmeter Fläche auf elf Ebenen beinhaltet der verzogen pyramidale Baukörper; er verdoppelt quasi die bisherige Ausstellungsfläche und erreicht eine Höhe von 64,5 Metern.
Volumetrisch wurde mit ihm ein adäquater und, bei aller Exzentrik, ensemblefähiger dritter Baustein geschaffen, der die Horizontale des rund 200 Meter langen Kraftwerksbaukörpers und die schlanke Vertikale seines knapp 100 Meter hohen Schlots austariert und außerdem im Konzert seltsamer Bauformen, die Londons Silhouette in den letzten Jahren nicht durchweg bereichert haben, mitspielen kann (ein Beispiel dafür, das „Walkie Talkie“ oder „Pint“ genannte, im vergangenen Jahr mit dem „Carbunkle Cup“ als hässlichster Neubau des Vereinigten Königreichs ausgezeichnete Bürohochhaus des uruguayischen Architekten Rafael Vinõly, ragt gleich gegenüber aus der City). Und wie die beiden historischen Bauglieder der Tate Modern wurde auch der Anbau mit Ziegeln verkleidet, und zwar mit Ziegeln von fast gleicher Farbe. Aus der Distanz, etwa vom gegenüberliegenden Themse-Ufer oder von einer der benachbarten Brücken aus, ergibt sich das Bild eines zusammenhängenden Ganzen. Beim Nähertreten aber wird schnell die
Besonderheit dieser Fassade erkennbar.
Die vermeintliche Ziegelfassade ist schon aufgrund der vielen horizontalen Fensterschlitze jedem Anschein von Solidität unverdächtig, nach und nach aber gibt sie sich als eine Art vorgehängter Schleier zu erkennen, ebenso vielfach wie regelmäßig perforiert und nicht im herkömmlichen Sinn gemauert, sondern zusammengesetzt aus Modulen von immer zwei miteinander vermörtelten Steinen – ein ornamental wirkendes Gitterwerk, das je nach Tageszeit unterschiedlich wahrgenommen wird: „Filter in, glow out“, lautet die jeweilige Wechselwirkung.
Die „Ausstrahlung“ des Gebäudes ist bedeutsam, obwohl es, von der City gesehen, hinter dem Hauptgebäude steht. Denn mit dem Anbau wendet sich die Tate Modern explizit nach Süden, dem Stadtteil Southwark zu. Vor sechzehn Jahren ließ sich das Umfeld noch als etwas heruntergekommenes, jedenfalls nicht im Blickpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stehendes Mischgebiet aus Gewerbe und eher einfachen Wohnlagen erleben. Heute zeigen die gläsernen Wohntürme, die inzwischen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Tate Modern entstanden sind, unübersehbar den Wandel des Gebiets während der letzten Jahre, den Einfluss, den die jährlich rund fünf Millionen Besucher – doppelt so viel wie ursprünglich erhofft – anlockende Kunstinstitution auf ihre Nachbarschaft ausgeübt hat. Der Neubau fasst nun einen Vorplatz (für die Landschaftsarchitektur war, wie schon bei der „alten“ Tate, das Züricher Büro Vogt verantwortlich), von dem sich sowohl der Altbau über den neuen Südeingang als auch der Neubau betreten lassen. Der Eintritt ist, wie in Großbritannien bei solch einem Museum üblich, frei.
Tate Modern Erweiterung: Boiler oder Switch House?
Den Blick des Besuchers zieht sofort die gewendelte Treppe aus Beton auf sich, die dort, wo An- und Altbau aufeinander treffen, ins Untergeschoss führt, hinab zu den ehemaligen Öltanks, die schon seit 2012 als Ausstellungsräume für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Der Neubau macht sich dort unten mit den geneigten Stützen bemerkbar, die seine Ostfassade tragen. Auch hier ist der Übergang in die Turbinenhalle möglich. Dann aber muss sich der Besucher entscheiden: Boiler House, also Altbau, oder Switch House, sprich Neubau? Der nächste Wechsel ist nämlich erst wieder unter dem Dach der Turbinenhalle möglich, über eine Brücke, die einen eindrucksvollen Blick hinab in die für besondere Präsentationen genutzte Halle bietet.
Entscheidet man sich für den Neubau, erschließt sich dessen Pyramidenform schnell: Von den ergänzenden, die Laufkundschaft adressierenden Nutzungen wie Shop und Café im Erdgeschoss und den mit wenig Außenbezug konzipierten Galerieräumen in den Obergeschossen 1 bis 3, über die weniger frequentierten, eher internen Bereiche in den Obergeschossen 4 bis 7, hin zum öffentlichen Restaurant und Aussichtsgeschoss in der Spitze, die mit ihrem Ausblick auch all jene anlocken, die allein der zeitgenössischen Kunst wegen vielleicht nicht kämen, nehmen die jeweils benötigten Flächen nach und nach ab. Entsprechend schmaler wird auch die Treppe, die nur in den unteren Ebenen gewendelt geführt ist. Die außen flächig wirkende Hülle wird innen mit den Bestandteilen ihrer Schichtung erlebbar, verräumlicht sich, wobei vor allem der Beton der kräftigen Fensterlaibungen Präsenz zeigt. Die Möblierung wurde zusammen mit dem Designer Jasper Morris entwickelt bzw. ausgewählt, der auch im „Altbau“ der Tate mit den Architekten zusammengearbeitet hat.
So geht Museumserweiterung heute, denkt sich der Gast aus Berlin, mit Schaudern die erste Phase des jüngsten Museumswettbewerbs in der deutschen Hauptstadt erinnernd (Bauwelt 10): Außen ein Zeichen setzen, dass sich gleichwohl einordnet, innen funktionierende Ausstellungsräume bieten. Ende Oktober wird über die Zukunft des Kulturforums entschieden. Hoffentlich sind die Juroren vorher in London gewesen.
Fakten
Architekten
Herzog & de Meuron, Basel; Scott, Giles Gilbert (1880–1960)
Adresse
Bankside, London SE1 9TG, Vereinigtes Königreich
aus
Bauwelt 30.2016
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