Bauwelt

„Die relative Unbedeutendheit der Ausstellungen lässt Narren­freiheit zu.“

Interview mit deSingel-Kurator Moritz Küng

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin; Küng, Moritz, Brüssel

„Die relative Unbedeutendheit der Ausstellungen lässt Narren­freiheit zu.“

Interview mit deSingel-Kurator Moritz Küng

Text: Klauser, Wilhelm, Berlin; Küng, Moritz, Brüssel

Lieber Moritz Küng,
deSingel ist für den Außenstehenden zunächst ein labyrinthischer Ort: Gebäude, Standort und Organisation sind nicht einfach zu verstehen. Dazu kommt eine komplexe Baugeschichte, die sich über Jahrzehnte gezogen hat, eine Lage im Schatten der europäischen Hauptstadt, und bislang gab es keinen Ausstellungsraum. Warum wird hier Architektur kuratiert, wie wird sie kuratiert und für wen?

Als 1985 deSingel als multidisziplinäres Kunstzentrum mit dem Schwerpunkt Performing  arts – also Tanz, Theater, Musik – eröffnet wurde, beschloss die damalige Gründungsdirektorin Frie Leysen, als festen Bestandteil der institutio­nel­len Indentität auch Architektur aufzunehmen. Seitdem wurde in über einhundert Ausstel­lungen das Schaffen von Architekten aus aller Welt gezeigt, seit 2004 zudem auch regelmäßig von Künstlern, deren Arbeit eine ausgeprägte Af­finität zur Architektur hat. In dieser Zeitspanne wurde das Ausstellungsprogramm von gerade nur drei Personen bestimmt: Carolina De Backer (1985–91), Katrien Vandermarliere (1992–02), und mir selbst (2003–11). Ihre Frage bezüglich des „Architekturkuratierens“ kann ich nur aus meiner persönlichen Sicht beantworten, nämlich, dass sich im Grunde genommen das Ausstel­len von Architektur erübrigt, da man Architektur schlichtweg nicht ausstellen kann, und wenn man dies versucht, dann nur im maßstäblichen Kontext von 1:1.
Was mir selbst sehr wichtig erschien, war, möglichst oft einen Bezug des Ausstellenden zum komplexen Gebäude selbst herzustellen. Wurden vor meiner Zeit die Ausstellungen ausschließlich im achtzig Meter langen Foyergang geplant, dessen gebäudetypischen Waschbetonwände mit neutralisierenden, weiß gestriche­nen Holzplatten verkleidet waren, so entschied ich mich dafür, sämtliche Vor- und Einbauten abzureißen und den ganzen Campus zum Ausstellungsraum zu erklären. Dies führte dazu, dass die Ausstellungen einen ausgeprägten „In situ“-Charakter erhielten und bestenfalls gar nicht mehr als solche zu erkennen waren, da die ausgestellten Arbeiten mit dem Gebäude und der Umgebung eins wurden. An wen sich die Aus­stellungen – aber auch die Publikationen, die oft eine wichtige konzeptuelle Ergänzung darstellen – richten, kann ich letztendlich nicht genau sagen, nur so viel: Als Kurator realisiere ich in erster Instanz eine Ausstellung für mich selbst, denn nur so kann ich das Ausgestellte auch integer vermitteln und wenn nötig verteidigen.
 
„Da es mehr um die Zustände von Welt geht und weniger um einzelne Objekte, sind Dinge
interessant, die offen sind und unfertig und ungesättigt. Es sind Dinge, die den Stoffwechsel anregen, weil sie Löcher haben, rohe Seiten und freie Bindungsarme“, schrieb der Architekturphilosoph Franz Xaver Baier in einem Essay. Mit der Eröffnung, die nun ansteht, ist deSingel fertiggestellt. Was bedeutet das für künftige Ausstellungen?

Das Zitat kann ich nur unterstreichen. Ob deSingel mit dem 12.000 Quadratmeter großen Anbau von Stéphane Beel „fertig“ ist, würde ich aufgrund der Baugeschichte dieses Komple­xes bezweifeln. Wie dem auch sei, deSingel bekommt im Herbst einen „echten“, „klassischen“, 350 Quadratmeter großen Ausstellungsraum, dementsprechend sehe ich künftig die Ausstel­lungen ebenfalls „echt“ und „klassisch“, wobei mein etwas zynischer Unterton durchaus ein Bedauern zum Ausdruck bringt. Der deSingel-Komplex offenbarte für mich in den vergangenen Jahren immer wieder ein enormes räumliches Potential, welches sich auch die Ausstellungen auf strategische Weise zunutze gemacht haben. Meine nächsten Projekte am deSingel mit den Künstlern Dominique Gonzalez-Foerster, Peter Downsbrough und Bas Princen sowie den Architekten Jan De Vylder  und JunyaIshigami sollen den neuen Raum als Teil eines alten Ganzen sichtbar machen.

Konsequent, unorthodox und präzise – drei Begriffe, die Sie in einem Katalog verwendet haben, um die Arbeit von Christian Kerez zu beschreiben. Die Architekturausstellungen im deSingel sind auch so angelegt. Das Ergebnis ist ein klares Bild, das der Betrachter erkennt. Wie reagiert ein großer Rahmen wie deSingel auf solche Intarsien?

Zuerst einmal muss man verstehen, dass Ausstel­lungen am deSingel gerade nur elf Prozent des künstlerischen Etats beanspruchen. Diese relative Unbedeutendheit lässt aber eine gewisse Nar­renfreiheit zu, welche wiederum gewisse Missverständnisse produziert. Tatsächlich versuche ich aber als Kurator, ausgesprochen und präzise zu arbeiten, in der Hoffnung, damit ein gewisses Momentum von Aufmerksamkeit generieren zu können, das den Betrachter veranlasst, etwas genauer hinzuschauen.
 
Die Ausstellung ist ein heterogenes Format: Die Vielfalt der eingesetzten Medien, veränderte Sehgewohnheiten, aber auch die Offenheit des ausgestellten Werkes und eine klar begrenzte Dauer machen aus dem Kurator den Spezialistenfür die Vermittlung von Ungesagtem oder nicht Erklärbarem. Die Ausstellung verschwindet – nicht als Ausstellung, aber als Ausgestell­tes. Welche Rolle übernimmt der Ort in diesem Zusammenhang, und welche der Kurator?

Prinzipiell gehe ich in meiner Arbeit von den existierenden räumlichen Bedingungen aus und basiere meine Ausstellungskonzepte im Glauben daran, dass der Raum einem letztlich „ein­flüstert“, welches Werk „richtig“ erscheint. Folglich bin ich davon überzeugt, dass man überall einegute Ausstellung realisieren kann – sei es in einer Garage, einer Bar, einer Fabrik, einem Maison de Maître, in einem Park oder in gängigen institutionellen Räumen – vorausgesetzt, manist sensibel genug, um auf gewisse existierende Codes reagieren zu können. Die Rolle des Kurators sehe ich grundsätzlich als die eines Kompli­zen des Künstlers oder Architekten. Zusammen verfolgt man ein gemeinsames Ziel, das je nachdem unterschiedlichen Interessen unterliegt; im Idealfall lernen beide etwas dabei. Dementsprechend sehe ich meine Rolle gar nicht so weit ent­fernt von der des Künstlers oder Architekten.
Fakten
Architekten Küng, Moritz, Brüssel
aus Bauwelt 30.2010

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