architects.collective und der Obstbau Leeb
Debüt Nr. 04
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Der Anspruch ist hoch: Junge Bauern setzen auf Direktmarketing in der östlichsten Ecke Österreichs. Und auf Architekten, die daraus eine Corporate Identity entwickeln.
An sich ist es eine unspektakuläre Kiste, die seit Ende 2009 in St. Andrä im Burgenland, unweit des Neusiedlersees, auf der grünen Wiese steht. Manchmal ist sie ganz geschlossen und zeigt nach allen Seiten ihre Holzplattenfassade, manchmal stehen ihre Tore weit offen, die Markise ist hochgeklappt und die Bauern bieten ihre Ware feil: den Apfel und alles, was man aus ihm machen kann. Doch der Neubau steht nicht nur für das Unternehmenskonzept von Vera und Albert Leeb, sondern auch für einen sich langsam in der Region etablierenden Wirtschaftskreislauf: kein Supermarkt, kein Zwischenhändler, individualisierte Transportwege.
Wie kann die Architektur dem gerecht werden? Selbst redend ist jedes Bauteil auf Nachhaltigkeit abgeklopft und noch die Regale im Laden sind aus wiederverwendeten Druckplatten. Kurt Sattler, einer der drei Partner von architects.collective aus Wien, kennt die lokalen Zusammenhänge, da er selbst aus der Region stammt, und spricht über Äpfel, Tomaten und Zertifizierung.
Ein Produktions- und Vertriebsgebäude für Äpfel und Apfelprodukte an einer Straßenkreuzung im Burgenland ...
Kurt Sattler| ... an der Bundesstraße 51!
... wie kam diese Typologie zustande?
Der Wunsch der Bauherrin war es, eine Obstkiste zu haben, beziehungsweise einen Marktstand. Unser Entwurf ist die Antwort darauf. Ihr hat es gefallen, dass es bewegliche Teile gibt, wie bei einem Stand. Geschlossen wirkt er skulptural und hermetisch, wenn er offen ist, einladend.
Die OSB-Platten der Fassade sehen aus wie geschichteter Apfeltrester. Ja, aber das ist Zufall. Der Grund, warum wir OSB-Platten verwendet haben, war in erster Linie ein finanzieller. Das Problem ist aber, dass die Platten dazu tendieren, zu schimmeln und zu vergilben. Zudem sehen sie aus wie eine Baustellenverkleidung. Mit einer zweifachen Lasur haben wir die Oberfläche geschützt und ihr eine neue Wertigkeit gegeben.
Die Holzkonstruktion ist vorgefertigt. Ist das üblich im Burgenland?
Eher nicht. Das ist dort typisch, wo es mehr Holz gibt, also in den alpinen Bereichen wie Tirol, Salzburg, Oberösterreich. Im Burgenland ist das Mauerwerk die traditionelle Bauweise. Deshalb kommt der Tischler auch aus Kärnten, das liegt drei, vier Stunden entfernt. Mittlerweile gibt es hier aber schon mehrere Firmen, die in diese Richtung arbeiten.
Wer ist der Motor für die Veränderung? Neue Bauherren?
Die Leebs sind typisch für eine Bewegung, die mehr und mehr Energie bekommt. Sie haben erst vor drei Jahren mit dem Obstbau begonnen, vorher hatten sie andere Sachen gemacht – sie hat im PR-Bereich gearbeitet und er war Zöllner. Sie haben sich dann entschieden, grundsätzlich neu zu starten. Das sollte sich auch in der Architektur fortsetzen.
Welche Vorteile hat der Direktvertrieb? Ist es ökologisch, wenn jeder seine Lebensmittel mit dem Auto beim Erzeuger abholt?
Die Äpfel werden in den meisten Industrieländern über Handelsketten verkauft, der Gewinn ist dadurch für den Produzenten sehr klein geworden. Auch im Bio-Bereich ist man den Discountern ausgeliefert. Der zweite Aspekt ist, dass die Äpfel lokal produziert und verkauft werden. Das geht
soweit, dass man selber auf die Plantagen gehen und pflücken kann. Die Äpfel werden vorwiegend in die umliegenden Dörfer verkauft, an Tourismusbetriebe, an die Therme. Nur ein Viertel der Produktion geht weiter als zehn Kilometer weg. Würden die Bauherren für große Handelsketten produzieren, würden die Äpfel in ein Logistikzentrum in den Süden von Wien gebracht und wieder zurück, um dann einige Kilometern von dort, wo sie gewachsen sind, wieder verkauft zu werden.
Haben Sie das mal weiter gedacht? Könnte man eine ganze Region anhand solcher Erzeugerkonzepte entwickeln?
Der große Masterplan ist gar nicht gewünscht. Wir zeigen aber unser Gebäude anderen Betrieben und Gemeinden, um es ihnen schmackhaft zu machen als Zukunftsmodell. Aber ich glaube, das braucht Zeit.
Welche Produkte werden noch direkt vermarktet?
Fünf Kilometer entfernt gibt es zum Beispiel den Herrn Stekovics, der tausend verschiedene Tomatensorten gezüchtet hat, von den winzigen gelben bis zu den riesigen blauen. Es ist eine Wunderwelt, wie eine Tomate aussehen kann. Solche Leute sind Vorreiter in der Region. Viel bewirkt haben auch Vermarktungs- und Förderprogramme für Lokales wie Gewürze oder für Steppenrinder, die es bereits vor hundert Jahren hier gab.
Ist der nächste Auftrag also eine Tomatenkiste?
Tomate wäre eine interessante Ansage. Aber Herr Stekovics hat schon gebaut und sich für einen traditionellen Massivbau entschieden – leider.
Obstbau Leeb ist nominiert für den Preis der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technologie. Wie weisen Sie die Nachhaltigkeit Ihrer Architektur nach?
Wir haben uns an die Strukturen des LEED-Standards gehalten, den ich vor zehn Jahren in Amerika kennengelernt habe und für den ich selbst zertifiziert bin. Man kann anhand von vierhundert Punkten nachweisen, dass ökologisch sinnvolle Entscheidungen getroffen wurden, sei es bei der Auswahl des Holzes, des Anstrichs, der Gipskartonplatten, alles.
Warum nicht das österreichische oder das deutsche Gütesiegel?
Die LEED-Zertifizierung kommt aus der Bauindustrie als eine Art Selbstregulierung. Sie ist leicht verständlich und hat sich in Nordamerika und vielen anderen Ländern durchgesetzt. Ein Viertel aller Architekten in den USA sind LEED-zertifiziert, man braucht keine Gurus, die dieses oder jenes behaupten, und auch nicht irgendwelche Firmen, die Geld verdienen wollen und Consulting machen. Generell möchte ich aber bemerken, dass der bautechnische Standard in Westeuropa deutlich höher ist als in den USA.
Sie halten das hiesige System also für schwierig?
Ich glaube, dass es komplizierter ist und nicht die Breitenwirkung hat. In Europa gibt es ja noch kein gemeinsames Zertifizierungssystem, nur den britischen BREEAM, den deutschen DGNB und den französischen HQE. In Österreich hält man sich meist an die deutschen Vorschläge.
Wenn der LEED so gut ist – warum übernehmen ihn die Europäer nicht?
Man würde das Gesicht verlieren, wenn die Amerikaner im Umweltschutz etwas besser machten. Nein, im Ernst: Ich hoffe, dass die europäischen Standards bald vereint werden und dass es dann eine vereinfachte Art gibt, mehr Projekte zu zertifizieren. Und dass es nicht zu teuer ist.
Also ist es eine Kostenfrage?
Das Zertifizieren ist ein gewaltiger Aufwand, den der Bauherr meistens nicht zahlt, geschweige denn der Architekt, wenn es um ein Projekt von weniger als einer Million Baukosten geht. Bei deutlich größeren Projekten würde man das schon machen.
Ihr Hauptargument für die Zertifizierung?
Der Konsumentenschutz! Es gibt viele Trittbrettfahrer und grün gestrichene Gebäude. Zertifizieren bestätigt die Tiefe oder die Wahrheit solcher Planungen.
Was sagen Ihre Bauherren dazu?
Unsere Bauherren hat eine Zertifikation nicht interessiert. Die wollten auf allen Ebenen wissen, dass wir das Beste tun, um es zu einem ökologischen und nachhaltigen Projekt zu machen.
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