Was aber die Schönheit sei
Ausgesuchtes vom Salone Internazionale del Mobile in Mailand
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Was aber die Schönheit sei
Ausgesuchtes vom Salone Internazionale del Mobile in Mailand
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Der italienische Alltag blieb auch 2017 auf dem Salone Internazionale del Mobile ausgespart. Eine Arbeitslosenquote von elf Prozent, bei den unter 25-Jährigen mehr als 40 Prozent, zeigt sich nicht in der Wohngestaltung. Das mag einem Lebensstil geschuldet sein, der sich der äußeren Wohlgestalt widmet, aber auch der stark fragmentierten Branche, deren Hersteller beim Gewohnten bleiben. Tycoon IKEA hat leichtes Spiel, das erfuhr der Autor am eigenen Leib.
Angesichts des Andrangs während der Messetage schätze ich mich glücklich, im Zentrum von Mailand ein bezahlbares Zimmer ergattert zu haben. Meine Vorstellung von einem verlebten Ambiente à la Spitzweg ist freilich zu romantisch gewesen – die helle Einrichtung der von Chinesen betriebenen Pension stammt von der großen schwedischen Haushaltsmöbelmarke.
Einen kleinen Trost spenden die IKEA-Stipendien; ein solches brachte Peter Otto Vosding an das Ingvar Kamprad Design Centrum der Universität Lund. Ob er dort auf die Idee zu dem Stuhl namens Mµ kam? Vosding entwickelte den Stuhl zusammen mit seinem Bruder Dirk, der den Prototyp als Gesellenstück fertigte. Entsprechend aufwendig sind die Verbindungen sowohl des dreidimensionalen Rahmens, der aus minimalen Querschnitten gefügt ist, als auch der darin eingelassenen dünnen Holzstreifen für Sitzfläche und Rückenlehne. Beide schmiegen sich dank des elastischen Eschenholzes an den Körper; sie können zehn bis zwölf Prozent nachgeben. Dieser Komfort überzeugt, ebenso die Leichtigkeit des Stuhls, den Vosding auf der Nachwuchsplattform Salone Satellite präsentierte.
Einen kleinen Trost spenden die IKEA-Stipendien; ein solches brachte Peter Otto Vosding an das Ingvar Kamprad Design Centrum der Universität Lund. Ob er dort auf die Idee zu dem Stuhl namens Mµ kam? Vosding entwickelte den Stuhl zusammen mit seinem Bruder Dirk, der den Prototyp als Gesellenstück fertigte. Entsprechend aufwendig sind die Verbindungen sowohl des dreidimensionalen Rahmens, der aus minimalen Querschnitten gefügt ist, als auch der darin eingelassenen dünnen Holzstreifen für Sitzfläche und Rückenlehne. Beide schmiegen sich dank des elastischen Eschenholzes an den Körper; sie können zehn bis zwölf Prozent nachgeben. Dieser Komfort überzeugt, ebenso die Leichtigkeit des Stuhls, den Vosding auf der Nachwuchsplattform Salone Satellite präsentierte.
Ähnlich minimalistisch, begeisterten beim „Euroluce“, der Leuchtenausstellung der Messe, Flash und Infinito von Davide Groppi. Ihr Licht bildet nur eine Spur, eine Linie. Groppis dünne Leuchtseile aus Metall, die wie Schnitte im Raum direktes bzw. indirektes Licht verbreiten und als Objekte gleichsam völlig verschwinden, sind eine Hommage an den italienischen Künstler Lucio Fontana (1899–1968). Fontana zerstörte mit Schnitten in einer monochrom bemalten Leinwand die zweidimensionale Bildfläche und erzeugte so eine geheimnsivolle Tiefe, insbesondere weil eine zweite, darunterliegende Ebene den Blick nicht ins Leere gehen lässt.
Bei chinesischem Design dachte ich bislang, zugegeben ziemlich oberflächlich, an Kitsch oder – siehe meine Pension – an Pragmatismus. Mit Bentu, einem jungen Unternehmen aus der Sonderwirtschaftszone Shenzhen, rücken Objekte ins Blickfeld, die an internationalem Design orientierte Gestaltung konzeptionell mit der wiederauflebenden buddhistischen Tradition verbinden. Die Leuchtenserie der Firma fällt auf durch die dünnwandigen Reflektoren aus Beton mit einer ungewohnt feinporigen Oberflächenstruktur. Der gesamte Prozess – vom Entwurf bis zur Auslieferung – liegt bei Bentu. Das Team betrachtet die Lampen als Massenprodukte, die gute Gestaltung nicht nur Wohlhabenden, sondern auch der breiten chinesischen Bevölkerung ermöglichen sollen. Dieser Ansatz erinnert an die Ideen der Moderne, deren Möbel bekanntermaßen allerdings weder formal noch finanziell massentauglich geworden sind.
Auf eine solche Mission zielt der Sessel Quindici von Ronan und Erwan Bouroullec sicher nicht. Die Brüder scheinen den 1919 gebauten „Rood-blauwe stoel“ von Gerrit Rietveld neu zu interpretieren, ebenso wie eine Liege, die Ludwig Mies van der Rohe 1930/1931 für das Haus Lange in Krefeld entworfen hat. Wie die beiden Klassiker besticht der Quindici durch Klarheit: Alle Elemente einschließlich ihrer Verbindungen sind nachvollziehbar. Allerdings müssen die Sitz- und Rückenflächen aus Schichtholz – wie das Gestell aus Esche – mittels Hitze aufwendig in Form gebogen werden. Die Holzoberfläche weist passend zur Form eine ruhige Maserung auf, was dem von Mattiazzi hergestellten Möbel eine kühle Eleganz verleiht und wie frühere Entwürfe der beiden Franzosen an die zurückhaltende Gestaltung der 1950er Jahre erinnert (Bauwelt 20.2014).
Einen Augenblick lang versuche ich mir vorzustellen, wie Silvio Berlusconi in dem Sessel aussähe. Der frühere Ministerpräsident hat beim Fahrer, der uns zur Messe fuhr, einen Schwall von Flüchen ausgelöst. Denn kurz vorm Haupteingang zwang die Polizei den Bus wegen des prominenten Besuchers zum Abdrehen. Ob der tags zuvor anwesende Präsident Sergio Mattarella gleichermaßen beschimpft worden wäre? Das Vertrauen der Italiener in die Politik ist erschreckend gering. Zu den vermeintlich klaren Botschaften der Moderne, sei es in der Politik, sei es in der Gestaltung, kann die Postmoderne nur selten aufschließen. Das verdeutlicht der Stand, den OMA für Knoll International entwarf: „This is Knoll“ betitelt, erinnert der Stand irgendwie an Mies, an das Wesen von Material, an die Ästhetik des Funktionalen – und bleibt doch unbestimmt. Wird hier einer Schönheit gehuldigt, die nicht hinterfragt werden kann?
Nynke Koster, wie Rem Koolhaas aus den Niederlanden, tritt hingegen sehr bestimmt zu mir. Als ich mich – müde vom langen Rundgang auf der Parallelmesse Ventura Lambrate – von einem Objekt abwende, fordert sie mein Urteil. Zu kitschige Oberflächen, befinde ich. Dann erläutert Koster ihre Serie Elements of Time, die mich mein schnelles Urteil revidieren lässt. Mit einem professionellen Gießer nimmt sie die Abdrücke von realen Architekturornamenten ab, minutiös, so dass alle Kratzer und Risse als Spuren der Vergänglichkeit sichtbar sind – und setzt sie zu Hockern neu zusammen. Sie sind für die Künstlerin weniger Gebrauchsgegenstand als eine Möbel gewordene Version von Zeitkapseln. Das Material Gummi lässt sich angenehm berühren und ist so bequem wie ein Sitzkissen. Derzeit ist Koster viel unterwegs, um das Wesen von Ornamenten in verschiedenen Kulturen festzuhalten und zu neuen Objekten zu formen.
Auf ganz andere Weise expressiv ist der Pelikan Chair, der anlässlich einer Sonderedition im Mittelpunkt bei onecollection stand. Der 1940 von Finn Juhl (1912–1989) entworfene Sessel war kaum produziert worden und dann fast ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Seit einigen Jahren wird er in der Kollektion der dänischen Firma geführt, die auch andere Möbel des Architekten vertreibt, etwa das wunderbare „Glove Cabinet“ (Bauwelt 8.2016). Der Sessel steht auf kurzen, stämmigen Beinen und wirkt wie ein Volumen, in das man sich mit der Wunsch- oder wahlweise der Alptraumvorstellung hineinsetzt, die auskragenden Seitenlehnen mögen einen umarmen. Wegen der deutlich nach hinten geneigten Sitzfläche gibt man sich dem Komfort willig hin. Was kann man Schöneres von einem Sessel erwarten!
Auf andere Art komfortabel ist der Stuhl Seoto, den Motomi Kawakami für hida entworfen hat. Der 1940 in Japan geborene Designer beschäftigt sich seit fünfzig Jahren mit Sitzmöbeln, wobei die jüngeren Modelle mehr und mehr der Oberflächenstruktur des Materials huldigen, dem naturbelassenen Holz oder – sofern vorhanden – den Bezugstoffen. Kawakami bezeichnet den Seoto als einfachen und unverwüstlichen Stuhl, der zugleich freundlich und nett zum Sitzenden ist. Die halblangen Armlehnen sind bequem zum Aufstützen, die breitere Rückenlehne ist daraus entwickelt und bietet einen bequemen Rückhalt. Auffallend ist die enorme Handarbeit, die an dänisches Mobilar der Nachkriegszeit erinnert.
Mit dem Puzzle von Studioventotto kehre ich zurück zu Italien. Wesentliche Elemente des stabilen Ausziehtischs sind zwei seitliche Flachprofile aus gebürstetem Stahl, die unter den Tischplatten mit zwei Rundprofilen verbunden sind. Daran sind die beiden Verlängerungsstücke mit Rohrschellen befestigt, so dass sie sich unter die asymmetrisch ausziehbaren Tischplatten klappen lassen. Als Holz wird mit Eiche furniertes Sperrholz verwendet. Ein Vorteil ist: Der Tisch muss zum Ausziehen nicht abgeräumt werden.
Das Handwerkliche ist das Authentische, es berührt wieder einmal als ein eigener Wert. Das ist ein Teil von Schönheit, auch wenn Albrecht Dürer zweifelte: „Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nicht.“
Das Handwerkliche ist das Authentische, es berührt wieder einmal als ein eigener Wert. Das ist ein Teil von Schönheit, auch wenn Albrecht Dürer zweifelte: „Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nicht.“
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